Nobody is perfect

Predigt zu Mt 25,1-13 (A/32)

Einleitung

Viele Kinder können es schon fast nicht mehr hören: Du sollst teilen. Du sollst Rücksicht nehmen, Verständnis haben für die Schwächeren. Niemanden ausstoßen und bloßstellen. Als Christen sind wir eine große Gemeinschaft. So oder so ähnlich lauten die Lernergebnisse, wenn im Religionsunterricht eine Geschichte aus der Bibel in unsere Zeit übertragen wird. Diese gewohnte Linie bringt das heutige Evangelium ziemlich durcheinander: Da wird nicht geteilt, da werden Menschen ausgeschlossen, da wird keine Rücksicht auf die Schwachen genommen – und von wegen: Gemeinschaft! Wie sollen wir das verstehen?

Predigt

"Nobody is perfect" – mit diesem Slogan wirbt in Würzburg ein Verkaufshaus für Designermöbel mit kleinen Fehlern. Wer etwas auf sich hält, kauft natürlich nur 100%ige Ware und lässt sich das Erstklassige auch etwas kosten. Mit "Nobody is perfect" wird das Zweitklassige schmackhaft gemacht. Oft sind die kleinen Macken kaum zu sehen und geben dem Möbelstück sogar eine besondere Note. Als zusätzlicher Anreiz tut der herabgesetzte Preis sein Übriges. Endlich kann sich auch der kleine Mann elegante Möbel namhafter Hersteller leisten, von denen er sonst nur träumen könnte. Aber vielleicht steckt die besondere Raffinesse des Werbeslogans darin, dass er einen auf der Gefühlsebene erwischt: Sei ehrlich, du bist doch auch nicht perfekt. Auch du hast deine kleineren und größeren Macken. Also nimm’s auch bei Möbeln nicht übergenau.

Da setzt unser heutiges Evangelium doch ganz andere Maßstäbe. Da wird Perfektionismus verlangt, präzise Überlegung, genaue Planung, alle Eventualitäten einberechnen. Da gibt es kein Wenn und Aber, keine Entschuldigung, keine Nachsicht. Da werden deutliche Ansprüche gestellt und klare Linien gezogen.

Auf der einen Seite stehen die perfekten Mädchen: Sie haben die Fackeln dabei, aber natürlich auch einen Krug mit genügend Öl, in das sie dann die mit Lumpen umwickelten Fackeln eintauchen und anzünden können. Auf der anderen Seite stehen die nicht ganz so perfekten Mädchen: Sie haben genauso guten Willen wie die anderen, aber sie gehen etwas schlampiger an die Sache heran. Sie wollen natürlich auch für das Hochzeitspaar parat stehen und leuchten. Aber dass sie dafür auch noch eigens Öl in einem Krug mitnehmen müssen, daran haben sie in der Vorfreude auf das Fest nicht gedacht. Und als es dann soweit ist und der Brautzug sich endlich hören lässt, fällt ihnen siedend heiß ein: "Pech, das Öl vergessen!" Aber sie werden nicht verlegen: "Das lässt sich schon ausbügeln", denken sie sich, "die anderen haben ja genug dabei; das wird schon reichen …" Aber die anderen, die Perfekten, machen ihnen einen Strich durch die Rechnung. Die gehen auf Nummer sicher und sagen ihnen: "Dann reicht es weder für uns noch für euch!"

Jetzt fangen unsere Schlamperinnen zu rotieren an und versuchen, mitten in der Nacht ein offenes Geschäft zu finden, in dem sie Öl kaufen können. Ob sie Glück haben oder nicht, erfahren wir nicht. Wir hören nur: Der Bräutigam kommt genau zu der Zeit, als sie nicht da sind. Er zieht in den Hochzeitssaal ein und lässt die Türen verschließen. Und als die Mädchen von ihrer nächtlichen Tour zurückkommen, stehen sie vor verschlossenen Türen. Sie bitten und betteln, aber der Bräutigam bleibt hart. Die Tür bleibt zu.

Liebe Leser, huldigt das Evangelium damit einem Perfektheitswahn? Oder soll vielleicht nur ein ganz ernster Zeigefinger erhoben werden – in dem Sinn: Meint ja nicht, so genau muss ich’s nicht nehmen, andere bügeln die Fehler in letzter Minute schon aus! Aber selbst, wenn es so gemeint ist, bleibt für mich dieses Ende der Geschichte hart und unverständlich. Nicht dass ich den ewigen Schlampern und denen, die sich auf Kosten anderer durchs Leben lavieren, das Wort reden möchte. In meinen Augen besteht der Fehler der fünf törichten Mädchen nicht darin, dass sie nicht so perfekt sind wie anderen, sondern darin, dass sie nicht zu ihrem Fehler stehen. Dass sie plötzlich anders erscheinen möchten, als sie im Leben wirklich sind.

Ich stelle mir vor: Sie wären zu ihrem Fehler gestanden, sie hätten die anderen ruhig ihre Fackeln anzünden lassen und hätten sich trotzdem daneben gestellt. Die einen im Licht, sie im Dunkeln. Ob der Bräutigam ihnen auch dann den Einzug in den Hochzeitssaal verwehrt und ihnen gesagt hätte: Ich kenne euch nicht?

Fürbitten

Wir Menschen sind ein Bündel von vielen Möglichkeiten, genutzten und ungenutzten. Du, Gott, weißt darum. Und deshalb beten wir:

A: Meine Begabungen und Vorzüge – Antwortruf: Kennst du, o Gott.

B: Meine Schwächen und Fehler …

A: Meine Hoffnungen und Träume …

B: Meine Ängste und Sorgen …

A: Meinen guten Willen und meine Bemühungen …

B: Meine Halbheit und Bequemlichkeit …

A: Meine Erfolge und Glanzlichter …

B: Meine Leiden und Kämpfe …

A: Meinen Eifer und Einsatz …

B: Meine Langeweile und Lustlosigkeit …

A: Meine Entwicklungsmöglichkeiten und Fähigkeiten …

B: Meine Grenzen und Beschränkungen …

A: Meine Gedanken und Gefühle …

B: Meine Abneigung und meinen Hass …

A: Mein ganzes Wesen …


Pfarrer Stefan Mai

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