Du Pharisäer!

Morgenfeier zum 31. Sonntag i.J. (Mt 23,1-13)

Pharisäer-Kaffee

Auf einer Insel im äußersten Norden Deutschlands hielt ein neuer Pfarrer Einzug. Die Leute auf der Insel feierten gerne und waren auch harte Sachen gewohnt. Dem Neuen gefiel dies nicht. Deswegen wollte er gegen diese Unsitten vorgehen und ließ die alkoholischen Getränke von den Festtagstischen verbannen. Wieder fand eine große Feier statt. Der neue Pfarrer war zum Fest eingeladen, und ihm zuliebe blieben Bier und Schnaps im Keller. Stattdessen bot der Hausherr besten Kaffee an. Der Kaffee schmeckte, aber es wollte keine rechte Stimmung im Festsaal aufkommen. Deshalb kam der Gastgeber auf eine Idee. Er setzte dem Kaffee heimlich Rum zu, achtete aber peinlichst darauf, dass dem Pfarrer aus einer eigenen Kanne mit unbehandeltem Kaffee eingeschenkt wurde. Um die verräterischen Düfte des Alkohols zu verbergen, ließ er als besonderen Gag auf jede Tasse Kaffee eine Haube Schlagsahne setzen. Die Stimmung der Gesellschaft stieg zusehends. Und es kam, wie es kommen musste. Der Pfarrer erwischte doch noch den falschen Kaffee, und der Schwindel flog auf. Dem asketischen Gottesmann platzte der Kragen, und er beschimpfte den Gastgeber als Heuchler und Pharisäer.

Seit dieser Zeit, so behauptet die Geschichte, heißt diese besondere Kaffeemelange "Pharisäer".

Musik: Konrad Raischl, Freudentänze



Pharisäer?

Liebe Hörerinnen und Hörer, diese Geschichte erzählt nicht nur von einem kleinen Schwindel, sie erzählt vielmehr von der Sehnsucht kleiner Leute nach ein wenig Freude im Leben. Nach ein bisschen Sahne, nach einem gewissen Pfiff. Der Kirchenmann steht dem im Weg. Aber die Sehnsucht nach Leben macht immer erfinderisch. Die kleinen Leute in unserer Geschichte werden selbst aktiv. Sie finden Mittel und Wege, den Schein zu wahren und trotzdem zum Ziel zu kommen. Sie wollen sich die Atmosphäre nicht vergällen lassen. Der Kirchenmann ist brüskiert. Und er zitiert den Paradevorwurf für Heuchlerei: Ihr Pharisäer!

Typisch Kirche!

So haben Menschen Kirche oft erlebt. Alles, was Spaß macht, wird verteufelt. Alles, was ein bisschen Schwung und Freude ins Leben bringt, wird gleich beargwöhnt. Wer das Leben locker anpackt, dem wird gleich unterstellt: Du bist nicht ernsthaft bei der Sache. Dir fehlen die ethischen Prinzipien. Du bist ein typischer Vertreter der modernen Spaßgesellschaft. Es spricht Bände: Auf die Frage, was Christentum eigentlich ausmacht, gab ein Jugendlicher einmal die Antwort: Christentum ist alles, was ich nicht tun darf.

Musik: Konrad Raischl, Wellen



Jesus auf der Seite der Kleinen

Es ist kaum zu glauben: Ausgerechnet Jesus hält nicht viel von denen, die Religion schwer machen wollen. Im Matthäusevangelium sagt er:

Die Pharisäer schnüren schwere Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, sie selbst aber rühren keinen Finger, um die Lasten wegzuschaffen (V. 4)

Das sind andere Töne. Da werden gerade die Lastenschnürer gegeißelt. Da wird ein Bild von Religion entworfen, das in eine ganz andere Richtung geht: das komplizierte Leben nicht noch schwerer machen, sondern für Entlastung sorgen. Nicht noch ein paar Vorschriften drauflegen, die meine ohnehin begrenzten Entscheidungsmöglichkeiten noch mehr einengen, sondern Freiraum schaffen. Nicht tausendmal sagen, was nicht erlaubt ist, sondern ein Wort aussprechen, das weiterhilft und den Weg zeigt. Im Matthäusevangelium ist es Jesus selber, der dieses Plädoyer für religiöse Entlastung hält.

Ärger Jesu

Und es bringt Jesus auf die Palme, wenn die religiösen Spezialisten ihren Job nicht machen: für Entlastung sorgen, Ratschläge geben, die im Leben greifen. Jesus geißelt die Haltung der religiösen Profis, die nur darauf aus sind, angeschaut zu werden. Die sagen: Macht uns die Aufwartung! Bewundert uns wegen unserer spirituellen Tiefe! Statt darauf zu achten, was Menschen im grauen Alltag zu bewältigen haben. Was Jesus fuchst, ist: Wenn religiöse Führer darauf aus sind, sich selbst aufs Podest heben zu lassen, anstatt mit fragenden und belasteten Menschen auf Augenhöhe nach Lösungen zu suchen. Was Jesus nicht verputzen kann ist: Wenn Religion sich in schwindelnde ethische Höhen versteigt und gleichzeitig mit Selbstdarstellung vermischt wird, anstatt in den Niederungen des Lebens eine unaufdringliche Hilfe zu sein.

Es ist und bleibt hart, was Jesus allen religiösen Führern ins Stammbuch schreibt:

Alles, was sie tun, tun sie, um sich vor den Menschen zur Schau zu stellen: Sie machen ihre Gebetsriemen breit und ihre Kleiderquasten lang, beim Gastmahl möchten sie den obersten Platz und in der Synagoge die vordersten Sitze einnehmen, und auf den öffentlichen Plätzen lassen sie sich gerne grüßen und von den Leuten "Rabbi" nennen (V. 5-7).

Für Leute wie mich, die Religion zu ihrem Beruf gemacht haben, ist das ein harter Spiegel, der mir vors Gesicht gehalten wird. Es ist eigentlich ein Negativbild von religiösen Autoritäten.

Und es mag paradox klingen: Eine echte religiöse Autorität zeigt sich für Jesus darin, dass sie gerade nicht darauf besteht, eine Autorität für andere zu sein oder anderen vorschreiben zu wollen, was richtig und falsch, gut und böse, kurz: was für ihr Leben gut sein soll.

Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen, denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen, denn nur einer ist euer Vater: der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen, denn nur einer ist euer Lehrer: Christus (V. 8-10).

Den Weg zum Himmelreich weisen, kann nicht der, der sich vor die anderen stellt, um ihnen Vorschriften zu machen, sondern nur der, der mit den anderen geht und gemeinsam mit ihnen Wege sucht.

Ich bin dankbar, dass es in meinem Leben solche Menschen gegeben hat und immer noch gibt. Oft haben sie weder Theologie studiert noch ein Amt inne. Aber sie haben intuitiv von dem großen Lehrer Jesus gelernt. Und sie haben das wenige, das sie gelernt haben und das ihnen wichtig geworden ist, in ihrem Leben umgesetzt. Ohne Schau und ohne Hinweisschilder. Ohne zu berechnen und auf Anerkennung zu schielen. Einfach deshalb, weil sie selber spürten: Das ist richtig. Das hilft in meinem Leben. Das praktiziere ich, egal, was die anderen denken. Ich möchte ihnen von ein paar Lehrmeistern meines Lebens erzählen.

Musik: Konrad Raischl, Wachsen



Ich danke meinem Vater und meiner Mutter, die mir durch ihr natürliches Beispiel die Freude am Gottesdienst vermittelt haben. Als kleiner Bub durfte ich neben meiner Mutter auf dem Orgelbock sitzen und umblättern, mein Vater führte mir den Finger in den Notenzeilen des Gesangbuchs und sang dabei mit großer Ergriffenheit. So durfte ich von klein auf erfahren, dass es kein Drill und Zwang sondern ein Stück Himmelreich ist, einem Größeren Loblieder zu singen. In meinen Eltern hatte ich zwei Lehrer des Gotteslobs.

Ich danke zwei Menschen, die ich in den vergangenen Wochen beerdigt habe. Ich danke dem 80-jährigen Mann, der über sieben Jahre lang Tag für Tag stundenlang zu seiner Frau – sie hatte Alzheimer – ins Altenheim kam, ihr alles erzählte, sie fütterte und im Rollstuhl ausfuhr und glücklich war, wenn manchmal ein kleines Lächeln über das verhärmte Gesicht seiner Frau huschte. Er trug diese Last mit, obwohl selbst in seinem Inneren der Krebs nagte. Innerhalb weniger Wochen war er tot. Für mich war dieser Mann ein christlicher Lehrer der Barmherzigkeit. In der Kirche war er nie.

Ich danke der 88-jährigen Frau, die immer auf Menschen mit einem Lächeln zuging, beim Gruß dem Gegenüber die Hand streichelte, ja oft mit einem Küsschen empfing. Ich bewundere sie, weil sie keinem Menschen böse Absichten unterstellte, immer noch an jedem das Gute sah und selbst ungeheuer dankbar war, wenn Menschen es mit ihr gut meinten. Für mich war diese Frau eine Lehrerin der Güte und der Dankbarkeit.

Ich danke einem Schwerstbehinderten aus unserer Pfarrei, der mir als Gesundem in manchen Dingen meilenweit voraus war. Wie konnte er sich freuen über den Kaffee im Kaffeehaus, über eine neue Spieluhr, über die Blasmusik auf der Kassette. Wie konnte er sich freuen über ein freundliches Wort, dass er sogar laut aufjubelte und mit seiner gesunden Hand heftig auf seine kranke klatschte. Wie weit war er mir, dem Theologen, in der Inbrunst des Glaubens und des kindlichen Gottvertrauens voraus. Mit welcher Ergriffenheit schmetterte er an Ostern sein "Halleluja, Jesus lebt", und welche Inbrunst war zu spüren, wenn er nach jedem Gebet laut sein "Amen" sprach. Für mich war dieser Behinderte ein Lehrmeister echter Lebensfreude und einer tiefen Glaubensergriffenheit.

Ich danke einem Arzt, der mich als jungen Kaplan in seinem langen Sterbeprozess an die Hand nahm, mich Anteil nehmen ließ an seinem reichen Erfahrungsschatz im Umgang mit Kranken und Sterben, mir noch einmal vor seinem Sterben tief in die Augen schaute und meinte: Ich war ehrlich zu dir. Sei du ehrlich an den Krankenbetten und spiele niemanden etwas vor. Für mich war dieser Arzt ein Meister christlicher Lebens- und Sterbekunst.

Liebe Leserinnen und Leser,
ich mute Ihnen noch einmal den unangenehmen Evangeliumstext des heutigen Sonntags zu, die sogenannte Scheltrede gegen die Pharisäer. Im Sinn des Matthäusevangeliums dürfen wir, ohne Skrupel zu haben, mit Jesus über all diejenigen zornig sein, die sich in unserem Leben als die christlichen Besserwisser und Musterknaben aufgespielt haben. Die gemeint haben, als Autorität müssten sie den Ton angeben; daheim, in der Schule oder Kirche andere im Kanzelton korrigieren und ihnen Vorschriften machen.

Aber dieser Text möchte uns auch anregen, uns Gesichter vor Augen zu stellen, die uns Lehrer und Meister im Sinn Jesu geworden sind: unaufdringlich, auf Augenhöhe mit uns, durch eine Lebenspraxis abgedeckt, die sich nie selbst in den Mittelpunkt rücken wollte. Die nie von oben herab, aber mit großem Interesse unseren Weg verfolgt und begleitet haben, uns durch ihre Kompetenz und Persönlichkeit geprägt haben.

Evangeliumstext ganz vorlesen

In jener Zeit wandte sich Jesus an das Volk und seine Jünger und sprach: Die Schriftgelehrten und Pharisäer haben sich auf den Stuhl des Mose gesetzt. Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen. Aber richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden nur, tun selber aber nicht, was sie sagen. Sie schnüren schwere Lasten zusammen und legen sie den Menschen auf die Schultern, sie selbst aber rühren keinen Finger, um die Lasten zu wegzuschaffen. Alles, was sie tun, tun sie nur, damit die Menschen es sehen: Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, bei jedem Festmahl möchten sie den Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze haben, und auf den Straßen und Plätzen lassen sie sich gern grüßen und von den Leuten Rabbi – Meister – nennen.

Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. Der Größte von euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.

Musik: Konrad Raischl, Auf ein Wiedersehn



Fürbitten

Zu unserem Lehrer und Meister Jesus Christus, der Menschen auf Augenhöhe begegnet ist, beten wir voll Vertrauen:

Für alle, die durch ihr Leben aus dem Glauben Leichtigkeit und Lebensfreude ausstrahlen

Für alle, deren Stimme und Nähe Menschen gut tut

Für alle, die mit Freude und ohne Vorbehalt auf Menschen zugehen

Gesungener Kyrie-Ruf

Für alle, die für uns glaubwürdige Autoritäten und Vorbilder sind

Für alle, die uns begeistern können

Für alle, die uns nachdenklich machen und uns immer wieder herausfordern

Gesungener Kyrie-Ruf

Für alle, die nur noch das Negative sehen können und überall Schlechtigkeit und Verfall entdecken

Für alle, die den Glauben ernst nehmen, aber sich selbst und anderen das Leben mit übertriebenen Forderungen schwer machen

Für alle, die ihre Selbstgerechtigkeit nicht mehr bemerken

Gesungener Kyrie-Ruf

Für alle, die an der Spitze christlicher Konfessionen stehen

Für unseren Papst Johannes Paul und alle, die große Verantwortung in unserer Kirche haben

Für alle, die sich in unseren Pfarrgemeinden engagieren und nach einem glaubwürdigen christlichen Profil suchen

Gesungener Kyrie-Ruf

Für alle, die mit Schwermut und Depression beladen sind

Für alle, die Schuld quält

Für alle, die nicht mehr wissen, was lachen und sich freuen heißt

Gesungener Kyrie-Ruf

Für alle Eltern, die ihren Kindern bedingungslose Annahme und Geborgenheit spüren lassen möchten

Für alle Lehrer und Erzieherinnen, die sich für die Entwicklung der Kinder wirklich interessieren

Für alle Handwerksmeister und Ausbildungsleiter, die nicht nur auf Zeugnisse und Dokumente schauen

Gesungener Kyrie-Ruf

All diese Menschen, alle die uns in diesen Minuten durch den Kopf gegangen sind, nehmen wir mit hinein in das Gebet, das uns Jesus ans Herz gelegt hat:

Vaterunser

Vater unser im Himmel,

Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen

Segensspruch

Segen will ich erbitten für die Menschen, die mir begegnen, die mich unterstützen und auf vielerlei Weise gute Dienste erweisen.

Segen will ich erbitten für die Menschen, denen viel aufgebürdet ist und die nicht wissen, ob sie die Kraft zum Tragen und Ertragen haben

Segen will ich erbitten für die Frohnaturen, die durch ihre Lebensart und ihren Humor andere erheitern und so Farbe ins Leben bringen.

Segen will ich erbitten für die vielen Gutmütigen, die ohne große Worte viel Gutes tun und so Lichtblick für andere sind

Segen will ich erbitten für alle, die vom Wort des Evangeliums Ermutigung, Korrektur und Wegweisung erhoffen.

So segne uns und alle Menschen der treue Gott, der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen.


Pfarrer Stefan Mai

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