Geh in dein Dunkelkämmerlein!

Predigt zum Tag der ewigen Anbetung in St. Maximilian Kolbe am 10.10.2002

Ich habe mir im Leben nie etwas aus Fotos gemacht und habe auch noch nie einen Fotoapparat mein eigen genannt. Aber ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Ende der sechziger Jahre der fotobegeisterte Pater Konrad uns einlud, die Neuanschaffung des Internats zu besichtigen, eine Dunkelkammer. Eine eigenartig schummrige Atmosphäre herrschte in diesem Fotolabor. Nur ein rotes Lämplein brannte. Er führte uns vor, wie das Bildnegativ durch Belichtung positiv auf das Fotopapier vergrößert wird, wie dann das Papier in der Entwicklungslauge immer mehr an Kontrasten gewinnt. Er wies uns daraufhin, dass es ein Fingerspitzengefühl dafür braucht, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, das Bild aus der Lauge zu nehmen, um eine optimale Bildschärfe zu erreichen, um es nicht zu hell oder zu dunkel werden zu lassen.

An diesen Vorgang der Bildentwicklung musste ich denken, als ich auf ein Gedicht von Lothar Zenetti zum Thema Gebet stieß. Es heißt:

Wenn du betest,

dann geh in dein Kämmerlein,

in dein Dunkelkämmerlein

und entwickle das Bild,

das Gott sich von dir gemacht hat.


Lothar Zenetti greift das Wort Jesu: "Wenn du betest dann geh in deine Kammer und schließ die Tür zu" auf , überträgt es auf die Dunkelkammer eines Fotolabors und bringt mich zum Nachdenken, was Gebet ist, was Gebet mit mir macht.

Wenn du betest

dann geh in dein Kämmerlein,

in dein Dunkelkämmerlein

und entwickle das Bild,

das Gott sich von dir gemacht hat.


Beten heißt nach Lothar Zenetti: In den Raum meines Ichs hinabsteigen und danach fragen, welches Bild hat Gott eigentlich von mir, wie schaut mein wahres Gesicht eigentlich aus? Beten heißt nach diesem Gedicht, meine ursprüngliche Gestalt und Persönlichkeit zu entdecken und zu entfalten. Beten heißt, mich so entdecken wie ich eigentlich von Gott gedacht bin.

Beten heißt nach diesem Gedicht, wie in einer Dunkelkammer Licht auf mein Negativ, auf meine Seiten, die mir nicht gefallen, mit denen ich mir schwer tue und die mir zu schaffen machen, fallen zu lassen und sie durch dieses Licht zu etwas Ansehnlichem werden zu lassen.

Beten heißt aber auch nach diesem Gedicht, mich einer Lauge auszusetzen, die mich befreit von allen Fremdbildern und Fremdbestimmungen und mich so zu einem Bild werden lässt, das dem Original, das Gott in der Hand hat möglichst nahe kommt.

Und das wissen wir. Nirgendwo anders begegne ich meiner eigenen Wirklichkeit mehr als im Gebet. Nirgendwo anders begegne ich meinen Schattenseite, meiner Enttäuschung, meiner Unzufriedenheit, meiner Angst und Traurigkeit ungeschminkter als im Gebet. Nirgendwo anders ist aber auch ein Ort, an dem ich meine Sehnsüchte, meine Wünsche, das was mich bewegt und belebt ehrlich vor Gott hintragen kann. Im Gebet Gott meine Wahrheit hinzuhalten, ihm zu erzählen, wie es mir wirklich geht, ihm mich zu zumuten, wie ich wirklich bin, das Licht und die Lauge seiner Worte auf mich wirken lassen, das ist der Weg, um mein Bild, das Gott sich von mir gemacht hat, zu entwickeln. Und ich denke, das ist auch der Weg, um mit mir identisch und in Frieden zu leben.


Pfarrer Stefan Mai

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