Wer ist eigentlich verrückt?

Predigt zum 25.Sonntag im Jahreskreis (Mt 20,1-16)

Predigt

Ein verrückter Kerl, dieser Weinbergsbesitzer, und ein verrückter Jesus, der seine Freude an diesem Mann hat und noch behauptet: So verrückt geht es im Himmelreich zu. Die Kurzarbeiter erhalten den gleichen Lohn wie diejenigen, die den ganzen Tag geschuftet haben. Ob dieser Gutsherr gerecht in unseren Augen ist, das ist Jesus egal. Hauptsache ist ihm, dass er so unverschämt gütig ist. Was ist wohl der Grund, dass wir uns über diesen Weinbergsbesitzer grün und blau ärgern und dieser Jesus kann sich über einen solchen Typ freuen?

Ich behaupte, wir haben unsere Probleme mit diesem Gleichnis, weil wir uns intuitiv für einen Arbeiter der ersten Stunde halten. Wir empfinden uns als Menschen, denen im Leben nichts geschenkt wurde oder die sich im Leben nichts schenken lassen wollen, als Menschen, die sich abmühen müssen und die es nicht verputzen können, dass es anderen Menschen bei viel weniger Anstrengung genauso gut geht.

Probleme mit diesem Gleichnis kann aber eigentlich nur der haben, der sich für einen Arbeiter der ersten Stunde hält, in dessen Weltbild allein Leistung zählt und bezahlt wird, sonst nichts. Probleme mit diesem Gleichnis kann eigentlich nur der haben, der sich selbst für perfekt hält. Aber welcher Mensch ist das schon? Wer kann das wirklich für sich in Anspruch nehmen, die ganze Zeit seines Lebens voll konzentriert bei der Sache gewesen sein, sein Leben voll ausgeschöpft zu haben?

Sicherlich gibt es Bereiche meines Lebens, da bin ich schon zur frühen Stunde in meinem Weinberg, da investiere ich Herzblut, da nehme ich viel auf mich, da bringe ich etwas zu Wege, da geht etwas voran, da zeige ich Energie und Zähigkeit. Aber da gibt es auch Bereiche, da bin ich ein Arbeiter der letzten Stunde, schiebe Aufgaben vor mir her, bin für vieles nicht so recht brauchbar. Die verschiedenen Arbeiter habe ich in der eigenen Brust.

Eigentlich kann nur der Probleme mit dem Gleichnis haben, der sich für perfekt hält. Wem einmal bewusst wird, dass er in vielem unzulänglich bleibt und an vielen Stellen Defizite hat, der hat doch eher bei diesem Gleichnis Grund, dankbar zu sein. Dankbar dafür, dass mein Leben trotzdem gelingen kann, wenn ich nicht auf allen Gebieten und menschlichen Bereichen Spitzenleistungen bringe. Dankbar dafür, dass Menschen mit mir zu tun haben möchten und mich schätzen, auch wenn ich nicht überall Spitze bin. Dankbar dafür, dass andere mit mir nachsichtig sind, auch wenn sie sich mich in vielen Punkten anders wünschten.

Vor ein paar Jahren war ich zu der Verabschiedung eines hochverdienten Mannes aus seinem Amt eingeladen. Auf jedem Platz lag ein Kärtchen mit dem Slogan "Leistung schafft Zukunft". Das heutige Evangelium spricht eine andere Sprache: Menschliches Leben gelingt nur dort und Spuren des Himmels sind nur dort eingestreut, wo Menschen mehr bekommen als sie durch Leistung verdienen.

Fürbitten

Gott, dich nennen wir den Barmherzigen. Dich bitten wir:

– Wir sind oft so schnell dabei, einzuteilen in gut und schlecht, in fleißig und faul, in wichtig und unwichtig. Lass uns manchmal bewusst werden, dass unsere Beurteilungsmuster und Maßstäbe nicht die deinen sein müssen.

– Es fällt uns oft schwer, Erfolg und Wohlstand des anderen neidlos zu sehen. Mache uns immer wieder bewusst, dass an diesen Kriterien nicht das Gelingen des Lebens liegt.

– Es gibt vieles, was sich durch Güte besser regeln ließe als durch Rechthaberei. Gib uns Kraft zu diesem Weg.

– Unsere Verstorbenen haben ihr langes oder kurzes Leben, ihr schweres oder leichtes hinter sich. Schenke ihnen den Lohn deiner Barmherzigkeit.

Darum bitten wir durch Christus unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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