Gut – aber dumm?

Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis (Mt 18,21-35)

Einleitung

Eine Mönchsgeschichte erzählt: Eines Tages kam ein Bauer zum Bruder Pförtner ins Kloster, um ihm mit einer herrlich großen Weintraube eine Freude zu machen. Der Pförtner freute sich, dass der Winzer an ihn gedacht hatte. Wie er die Weintraube vor sich hinlegte, kam ihm die Idee, dem Abt des Klosters damit eine Freude zu machen. Der Abt freute sich. Und als er am Abend einen kranken Mitbruder auf der Krankenstation besuchen will, nimmt er die Traube mit. Schließlich gibt der Kranke die Traube an einen Besucher weiter und so kommt die Traube wieder zum Bruder in der Klosterpforte, dem ein Mitbruder eine Freude machen will. So hatte sich ein Kreislauf der Güte geschlossen.

Auch im heutigen Evangelium meint es ein Mensch überaus gut. Aber die Geschichte geht anders aus.

Predigt

"Der Herr hatte Mitleid mit dem Diener, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld" (Mt 18,27).

Ein gutherziger, aber ein dummer König. Ein gutmeinender König, aber ein Mensch, der keinerlei Ahnung vom Leben hat. Hätte dieser König nicht wissen müssen, dass allzu viel ungesund ist? Hätte er nicht wissen müssen, dass bei der überwältigenden Größe des Geschenkes ein kleiner Diener, der ein paar Zerquetschte verdient, die Tragweite eines solchen Schuldenerlasses überhaupt nicht erfassen kann? Hätte er nicht wissen müssen: Geld verdirbt den Charakter? Wer erst einmal so richtig den Duft des Geldes gerochen hat, der wird immer gieriger danach?

Wäre es nicht viel klüger gewesen, er hätte sein großes Herz nicht gleich so weit aufgemacht, er wäre auf den Vorschlag des Dieners eingegangen und hätte ihn wenigstens einen Teil der immensen Geldschuld abstottern lassen? Dann hätte er immer noch ein Steuerungs- und Machtmittel in der Hand behalten. Hat der gutmütige Herr bei allem Respekt vor der Großzügigkeit und allem Gutmeinen es sich am Ende nicht selbst zuzuschreiben, dass der Überbeschenkte zu diesem ruchlosen Egoisten geworden ist? Hätte er nicht klare Konsequenzen fordern müssen, klare Bedingungen an den Schuldenerlass knüpfen müssen, um etwas zu erreichen? Hat er es am Ende nicht selbst eingesehen, dass er blauäugig war. Schließlich muss er doch selbst die Notbremse ziehen und den überreich beschenkten Übeltäter am Schlawittchen packen. Schließlich handelt der König dann doch so, wie er ursprünglich nicht wollte, und tut genau das, was er eigentlich vermeiden wollte. Müssen wir uns nicht fragen: Wem hat der "gute" König mit seiner spontanen Güte am Ende wirklich geholfen? Sich selbst nicht, dem Diener nicht, und auch dem zweiten Diener nicht!

Diese Gedanken kommen mir, wenn ich beobachte, wie manche es schamlos ausnützen, wenn ihnen im Leben alles nachgeworfen wird; wie sie sich überhaupt nicht darum scheren, dass man zu einem gelingenden Miteinander auch selbst seinen Beitrag zu leisten hat. Haben gutmeinende Eltern und menschliche Lehrer diese Lehre nicht zuhauf erteilt bekommen: Dosierte Güte ist besser als grenzenlose? Sind Menschen heute, oder noch schärfer gefragt: von der menschlichen Natur her, überhaupt fähig, ein Übermaß an Güte zu verdauen? Hätte manch alter Mensch gegenüber seinen Erben nicht noch ein größeres Druckmittel in der Hand, wenn er nicht alles selbstlos und arglos aus der Hand gegeben hätte? Gut meinen bewirkt nicht immer Gutes.

Komisch, dieser sonst so kluge Jesus, der in seiner Menschenkenntnis besticht, erzählt begeistert dieses Gleichnis von der Güte ohne Grenzen, die einen Bauchplatscher landet. Mit seiner Gewissensfrage: "Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?", scheint er die Hoffnung nicht aufgeben zu wollen: Wer einmal kapiert, was Gott mir als Mensch gratis alles zusteckt, der gibt davon selbstverständlich wieder an andere weiter. Und Jesus scheint daran festhalten zu wollen: Wer dies einmal kapiert hat, der weiß auch genauso: Ein Mensch der empfangene Güte nicht weiterverteilt, bringt sich selbst ums Leben.

Mich persönlich stellt Jesus mit seinem Gleichnis vor entscheidende Fragen: Wie steht´s mit meiner eigenen Freizügigkeit? Gebe ich wirklich ohne Hintergedanken? Wovon lasse ich mich in meinen Handlungsstrategien leiten: von den schlechten Erfahrungen, die ich beim Gutes Tun schon gemacht habe, oder von den guten Erwartungen und dem Vertrauen in das Gute des Menschen.

Dieses Gleichnis, das Jesus erzählt, ist auch eine Anfrage an mein Menschenbild. Kann ich vertrauen, dass absichtslose Güte nicht ins Leere läuft, dass sie auch beim anderen etwas aufknacken und einen Zuwachs an Menschlichkeit bringen kann? Glaube ich daran, dass Menschen, die gut sind ohne etwas zu erwarten, Spuren in den Herzen von Menschen und auf dieser Welt hinterlassen und etwas verändern können?

Liebe Leser, manchmal leuchtet davon etwas auf: Auf einer Hochzeitsfeier verabschiedete ich mich von den Brauteltern. Der Vater war sichtlich von dem gelungenen Tag gerührt und meinte: Ich hätte nie geglaubt, dass verschenkte Güte und verschenkte Kraft in unserer egoistischen Gesellschaft überhaupt noch honoriert werden. Heute bin ich am Beispiel meiner Tochter eines Besseren belehrt worden: Was sie jahrelang an Gutem weitergegeben hat, das ist heute in der Sympathie, im Wohlwollen, in der Hilfsbereitschaft auf uns vielfach zurückgekommen.

Fürbitten

In einem Kirchenlied singen wir: "Was wir sind und haben, sind nur Gottes Gaben." Gott, wir bitten dich:

– Wir bitten um die Einsicht, dass ein Leben miteinander nur gelingen kann, wenn wir von dem Guten, das wir empfangen, anderen wieder weiterschenken

– Wir bitten um Sympathie und Zuneigung unter den Menschen, um Großmut und Bereitschaft zum Verzeihen

– Wir bitten um die Erfahrung, dass verschenkte Güte und Vorschuss an Vertrauen nicht missbraucht wird sondern Menschlichkeit fördert

– Wir bitten für uns, dass wir nicht nur an uns denken sondern auch die Nöte und Sorgen der Mitmenschen wahrnehmen

– Wir bitten für unsere Verstorbenen, denen wir viel im Leben verdanken


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de