Wie siehst du mich?

Predigt zum 21.Sonntag im Jahreskreis (Mt 16,13-20 )

Einleitung

Den berühmten Blick in den Spiegel gibt es auf zweifache Art. Die eine Art ist der berühmte Märchenspiegelblick "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die schönste im ganzen Land?". Die meisten Menschen kennen aber eher den anderen Blick in den Spiegel. Wenn ich im Spiegel mir selbst in die Augen schaue, dann steigt manchmal die Frage hoch "Wer bist du denn eigentlich?"

"Wer bist du denn eigentlich?" Diese Frage begegnet uns heute im Evangelium. Und sie stellt kein geringerer als Jesus selbst.

Predigt

"Bin ich Jesus?" Wenn diese Frage einem etwas brüsk über die Lippen kommt, dann reagiert er auf eine Frage, auf die er keine Antwort weiß, auf eine zu hohe Erwartung, der er nicht gerecht werden kann oder auf eine Bitte, die er nicht erfüllen kann. Mit dieser Frage: "Bin ich Jesus?" gesteht er indirekt ein: Ich bin schwach, habe meine Grenzen, bin am Ende hilflos.

"Bin ich Jesus?" Diese Frage scheint mir durch ein idealisiertes Jesusbild genährt. Da steht ein Jesus dahinter, der alles weiß, der alles kann, dem alles gelingt, dem nichts und keiner etwas anhaben kann, für den unsere Welt nur eine Art Spielwiese ist.

Wenn Jesus im heutigen Evangelium die Frage stellt: "Wer bin ich eigentlich? Für wen halten mich die Leute? Was bin ich für euch?" - dann ist das weit mehr als eine Scheinfrage, wo er doch eh schon alles weiß, dann ist das weit mehr als die Loyalität seiner engsten Freunde zu testen.

Wir wissen aus Lebenserfahrung. Die Frage nach sich selbst "wer bin ich denn eigentlich?" bricht vor allem in Zeiten von Krisen auf, in Zeiten von Umbrüchen, wenn bisherige Handlungs- und Denkmuster ins Wanken geraten, wenn ich mich mit mir selbst nicht mehr so recht auskenne, wenn ich mir selbst ein Rätsel bin.

Gerade in solchen Zeiten frage ich mich dann, was und wie denken eigentlich andere über mich, wie sehen sie mich, was halten sie von mir? Es verwundert nicht, dass die Frage Jesu an einer Knackstelle der Evangelien zu finden ist: An der Umbruchstelle, wo er sich auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem aufmacht und ahnt, dass ein schwieriges Wegstück seines Lebens ihm bevorsteht.

Und wie Jesus spüre ich, dass am Ende weniger zählt, was die Leute über mich denken und reden. Viel wichtiger ist, was die Menschen von mir halten, die mir nahe stehen und für mich Bedeutung haben.

Einem Mann, der sich fragte, wer er denn eigentlich sei, gab ein Mönch den Rat: "Geh und frage deine Frau, was sie von dir hält, deine Kinder, was sie von dir denken, deine Verwandten, was du ihnen bedeutest, deine Nachbarn, was sie untereinander über dich erzählen und deine Kollegen, wie sie von dir reden!"

Fürbitten

Herr Jesus Christus, wir bitten dich:

Für alle, die für uns Bedeutung haben und denen wir viel bedeuten

Für alle, um die wir uns Sorgen machen und für die wir Sorge tragen

Für alle, die an Gott glauben und im Glauben an ihn Wegweisung und Halt suchen

Für alle, die an sich zweifeln und mit sich nicht im Lot stehen

Für alle, die überheblich sind und sich maßlos überschätzen


Pfarrer Stefan Mai

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