Auch Jesus lernt aus Fehlern

Predigt zum 20. Sonntag im Jahreskreis - Kinderpredigt (Mt 15,21-28)

Vorbemerkung: Für die Anschaulichkeit der Predigt wäre es gut, im Altarraum eine Schultafel oder eine Flip-Chart aufzustellen, um während der Predigt darauf schreiben zu können: "2 + 2 = 5" sowie "Liebe deine Feler".

Einleitung

Ein Schock ging durch Deutschland im Herbst des vergangenen Jahres: Nach der Pisastudie hat Deutschland mit die dümmsten Kinder und die unmotiviertesten Lehrer. Unter "ferner liefen" rangiert das deutsche Bildungswesen. Eine der reichsten Nationen der Welt, das ehemalige Volk der Dichter und Denker, hat in Sachen Bildung nichts mehr zu bieten.

Kein Wunder, dass jetzt alle Köpfe rauchen: Kultusminister, Schulämter, Lehrerverbände und Elterninitiativen fühlen sich unter Druck gesetzt und fragen sich: Wie können unsere Kinder wieder effektiver und lustvoller lernen? Die Vorschläge überschlagen sich. Ich meine, auch aus dem heutigen Evangelium einen Vorschlag herauszuhören.

Predigt

In der Stadt Schweinfurt erscheint regelmäßig ein Magazin der Katholiken zu einem aktuellen Thema. In der Fastenzeit des vergangenen Jahres war auf der Titelseite folgendes Bild zu sehen: (der Prediger schreibt groß und deutlich auf die Tafel) "2 + 2 = 5" sowie "Liebe deine Feler".

Die meisten Leser haben den Test bestanden, haben entweder gleich gelacht oder waren empört: Jetzt machen unsere Kinder doch sowieso schon so viel falsch – und da stellt man Fehler auch noch als Vorbild hin! Andere meinten: Das kann doch nicht ernst gemeint sein! Da muss doch ein Hintergedanke damit verbunden sein! Und das war es auch. Die Artikel wollten die Sache einmal von einer anderen Seite beleuchten und für einen kreativen Umgang mit Fehlern werben. Inzwischen ist es auch ein Kerngedanke der neuen Lehrpläne: Wir sollten Kinder wegen ihrer Fehler nicht gleich tadeln und ihre Fehler verteufeln, sondern die Fehler als Kapital zum Lernen nutzen.

Auch im religiösen Bereich wurden im Umgang mit Fehlern in meinen Augen Fehler gemacht: Jesus wurde zum fehlerlosen Tugendbolden stilisiert. Jesus war einfach schon immer der Beste, der Menschlichste, der Allwissenste, der Verständnisvollste, der Gnädigste – eben ein Mensch ohne Fehler. Dieser Fehlerlosigkeit sollten die Christen nacheifern – und blieben doch meilenweit hinter ihm zurück. Viele Christen zieht diese Erfahrung tief nach unten: Ich kann machen, was ich will; ich kann mich noch so sehr anstrengen, ich bleibe immer in den gleichen Fehlern hängen. Frust und Enttäuschung sind die Folgen.

Urchristliche Erzähler gehen mit der Fehlerlosigkeit Jesu unbefangener um. Da wird im heutigen Evangelium von einer Frau erzählt, Kanaanäerin wird sie genannt. Sie kommt aus heidnischem Gebiet. Mit riesigem Vertrauen geht sie auf den Juden Jesus zu und schreit sich ihre Not aus dem Herzen. Doch Jesus, so erzählt die Geschichte, lässt das kalt. Er stellt seine Ohren scheinbar auf Durchzug. Die Jünger können es gar nicht mit ansehen. Das Geschrei der Frau erbarmt sie. Doch Jesus reagiert mit Eiseskälte: Diese Frau geht mich nichts an. Aber die Frau lässt sich nicht abwimmeln. Sie wirft sich ihm vor die Füße und schreit: Herr, hilf mir! Gröber als Jesus jetzt reagiert, geht es nicht mehr: "Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hündlein vorzuwerfen", sagt er zu ihr. Im Klartext: Du bist eine Heidin. Du gehörtst nicht zu uns Juden. Für dich bin ich nicht zuständig. Hau ab! Da gibt es nichts zum Deuteln und zum Schönreden: Das ist Demütigung – verbunden mit religiöser Überheblichkeit. Hättet Ihr noch Lust, mit einem solchen Typ weiterzureden?

Die Frau tut es trotzdem. Und sie ist raffiniert. Sie greift das demütigende Argument Jesu auf und kontert: "Ja, du hast recht, Herr. Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die von den Tischen ihrer Herren fallen." Im Klartext: Ich weiß, dass ich nicht zu eurem Volk gehöre. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Gott sein Erbarmen und seine Hilfe von der Geburtsurkunde oder Religionszugehörigkeit abhängig macht. Es macht mir nichts aus, wenn ihr euch bevorzugt vorkommt. Ich meinerseits bin zufrieden, wenn wenigstens ein kleines Gnadenbröcklein für mich abfällt.

Da ist Jesus baff. Plötzlich ist sein Ton anders, und er reagiert wie umgedreht. Auf einmal bewundert er den Glauben der Frau – und ist doch für sie zuständig. Er entspricht ihrer Bitte – und wir schnaufen auf. Noch mal alles gutgegangen.

Aber daran kommen wir nicht vorbei: Jesus hat in dieser Situation unmenschlich gehandelt. Er hat die Frau behandelt wie ein Stück Vieh. Er war abweisend. Er war überheblich. Innerhalb weniger Minuten hat er viele Fehler gemacht. Das Evangelium erzählt davon gnadenlos. Aber es erzählt auch, dass die Frau ihn zur Einsicht bringt, dass Jesus eine Kehrtwende um 180° macht, dass er aus seinen Fehlern lernt und die Frau plötzlich mit anderen Augen sieht. Der Evangelist Matthäus hält uns mit seiner kleinen Geschichte eine große Predigt: Es kommt nicht darauf an, keine Fehler zu machen. Sondern es kommt alles darauf an, aus Fehlern zu lernen.

Fürbitten

Herr, unser Gott, jeder von uns hat seine Licht- und Schattenseiten. Wir bitten dich:

– für alle, die unter ihren Fehlern leiden …

– für alle, die an ihren Fehlern am liebsten verzweifeln möchten …

– für alle, die immer nur die Fehler der anderen sehen …

– für alle, die einfach über ihre Fehler hinweggehen …

– für alle, die sich für fehlerlos halten und hochmütig werden …

– für alle, die schwere Fehler im Leben gemacht haben und nicht wissen, ob sie den Schaden wieder gutmachen können …

– für alle, die bewusst aus Fehlern lernen möchten …


Pfarrer Stefan Mai

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