Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!

Predigt zu Mt 13,44-46 (A-17-2002)

Wie kommt der Mensch zum Glauben? Wie kommt er mit Glauben in Berührung? Wie kommt er dem Glauben auf die Spur? Das ist nicht erst eine Frage unserer Zeit mit ihren vielen Angeboten. Mit dieser Frage setzt sich Jesus im heutigen Gleichnis vom Schatz im Acker auseinander.

Da stößt ein Tagelöhner völlig unerwartet auf einen Schatz. Nicht in einer außergewöhnlichen Situation, nicht im Gottesdienst, nicht in Gebet und Meditation, sondern bei der alltäglichen Arbeit. Da entdeckt er etwas Neues und spürt: Das bringt eine neue Perspektive in mein Leben hinein. Morgen kann es nicht mehr einfach so weitergehen, wie es bis heute war. Aber komisch. Der Tagelöhner nimmt den Schatz nicht einfach so mit. Er gräbt ihn wieder ein, macht sich auf und will erwerben, was ihm einfach so zugefallen ist. Er spürt, diese Entdeckung lässt ihn nicht mehr los, er gibt viel auf und setzt alles dran, um diese Entdeckung sein eigen nennen zu können.

In so mancher Bauernstube hing diese Volksweisheit: "Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!" Dieser Spruch will den Erben des Hofes stets daran erinnern, dass er mit dem Erbe nicht einfach die Hände in den Schoß legen darf, sondern es wie einen neuen Schatz erwerben muss, wenn es ihm nicht aus der Hand gleiten soll.

Viele haben den Glauben einfach geerbt, ja mit in die Wiege gelegt bekommen, aber nie so richtig als Schatz entdeckt. Viele haben den Glauben einfach so von zuhause mitbekommen und mitgenommen. Sie merken gar nicht, wie er ihnen mit der Zeit langsam entgleitet. Andere sehnen sich heute danach, den Schatz des Glaubens neu zu entdecken, mit ihm einen Glücksfund zu machen, auf etwas zu stoßen, was dem Leben eine andere Richtung gibt oder es bereichert.

Jesus mit seinem Gleichnis spricht in beide Richtungen: Dem einen, der zufällig von einem Gottesdienst begeistert ist, der einen religiösen Event miterlebt hat, und meint: Jetzt habe ich das Richtige gefunden, dem sagt Jesus: Freu dich darüber! Aber wenn diese Freude keine Eintagsfliege bleiben soll, dann sei dir bewusst: Dieser Schatz gehört dir noch lange nicht. Wenn dein Leben wirklich eine neue Richtung bekommen soll, dann wirst du dir diesen Schatz erst langsam erwerben müssen. Und das kann sehr mühsam sein. Das wird deinen Alltag verändern. Das wird neue Fragen aufwerfen. Das wird dich auch verunsichern. Das wird dich ständig hinterfragen.

Den anderen, dem der Glaube in die Wiege gelegt ist, fragt Jesus dagegen: Weißt du eigentlich, welchen Schatz du da in deinem Erbe hast? Natürlich, er ist dir zur Gewohnheit geworden. Du gehst jeden Sonntag in deine Kirche. Du kennst die Evangelien. Aber hast du eigentlich noch Entdeckerfreude? Hörst du aus den Worten Jesu etwas heraus, was dich aufschreckt? Geht es dir wirklich noch nach in deinem Alltag? Löst es in dir eine heilige Unruhe aus?

Liebe Leser, faszinierend an diesem Gleichnis ist für mich: Christentum wird nicht als Bürde auf dem Buckel gezeigt, sondern als Schatz, der in meinem Lebensacker liegt, den ich aber erst erwerben muss. Das Eigentliche ist nicht, den Schatz zu haben, sondern den Schatz als Schatz zu empfinden. Die alte Bauernweisheit gilt auch für die Christen, sowohl für die, die ihren Glauben geerbt haben, als auch für die, die ihm neu auf die Spur kommen: "Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!" – "Worauf du neu stößt in deinem Leben, erwirb es, um es zu besitzen!"


Pfarrer Stefan Mai

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