Die Lust am Jäten

Predigt zum Sechszehnten Sonntag im Jahreskreis (Weish 12,13-19 und Mt 13,24-30)

Immer mehr Menschen haben immer weniger Ahnung von den Pflanzen auf dem Acker und im Garten. Immer mehr tun sich schwer zu entscheiden, wenn sie vor einem Beet stehen, was ist jetzt wirklich sogenanntes Unkraut und was sind Nutz- oder Zierpflanzen. Immer weniger Menschen unserer Gesellschaft haben Freude daran, eine Hacke in die Hand zu nehmen , wenn es zum Beispiel um das Hacken und Schneiden eines Pfarrgeländes geht. Dafür gibt es die Spezialisten oder paar Dummen.

Aber dennoch habe ich den Eindruck, die Jätelust in unserer Gesellschaft nimmt eher zu. Angefangen von der großen Politik über Kirche, Kommunen, Vereine, Nachbarschaft sowie die eigene Verwandtschaft und Familie. Wie schnell fühlen sich da Menschen auf den Plan gerufen, zu urteilen, zu beurteilen, zu qualifizieren zwischen gut und schlecht, in Schubladen zu stecken, genau einzuteilen in richtig und falsch, im Bild unseres Gleichnisses gesprochen: in Unkraut und Weizen. Wie schnell wird dann mit der Zunge in der Öffentlichkeit oder hinter vorgehaltener Hand die Hacke genommen oder etwas verdeckter Unkrautvernichtungsmittel versprüht, um wieder Ordnung ins eigene Weltbild und Denksystem zu bringen. Die Lust am Jäten ist einfach groß, obwohl jeder weiß, dass das Leben viel komplizierter ist, als so getan wird; obwohl jeder weiß, dass der eigene Blick immer eingeschränkt ist und Übersicht und Weite fehlt. Warum nur hält sich diese Jätelust so hart im menschlichen Wesen? Was steckt eigentlich hinter dieser Jätelust?

Wer ehrlich mit sich selbst umgeht, wird zugeben müssen, dass wir uns selbst und unsere Einstellung mit dem edlen Weizen identifizieren, wogegen andere Menschen, andere und unbequeme Gedanken leicht als ärgerliches Unkraut empfunden wird, das ausgerissen gehört. Hinter der Jätelust steckt also eine tiefe Angst vor der Konkurrenz durch andere. Die Angst, selbst nicht so groß wahrgenommen zu werden, wenn andere neben mir hochkommen. Die Angst selbst ins Hintertreffen zu geraten, wenn die, die anders sind als ich, an Einfluss gewinnen. Die Angst, meine Fähigkeiten würden verblassen, wenn andere sich entfalten. Die Angst, ich würde kleiner, wenn ich die anderen groß sein lasse. Und diese Angst, die oft überhaupt nicht eingestanden wird, setzt zerstörerische Kräfte frei, beflügelt zur Jätelust und lässt nur die Monokultur meiner Einstellung gelten.

Und da ist noch unsere Phantasie: die Fähigkeit, alles klar einteilen zu können, alles richtig beurteilen und erkennen zu können, sei ein Zeichen von Stärke. Es macht mich sehr nachdenklich, wie in unserer Gesellschaft der Schrei nach Männern und Frauen gestiegen ist, die genau wissen, was gut und was schlecht ist, die sofort für die schwierigsten Wirtschaftsprobleme die Patentlösungen parat haben, die immer gleich das Unkraut beim anderen erkennen und dies ausrotten wollen und selbst das blühende Paradies versprechen. Es macht mich nachdenklich, wie aus der Position des Stärkeren heraus auf dem Gebiet der Diagnostik eingeteilt wird in lebenswert und lebensunwert, und Behinderung als Unkraut von vorneherein ausgemerzt gehört.

Vehement kämpft Jesus gegen diese jätelustige Lebenseinstellung. Er wirbt um mehr Gelassenheit gegenüber dem, was mir gegen den Strich geht. Und er wirbt mit Engelszungen darum, das letzte Urteil über andere, über Entwicklungen, die ablaufen, einem anderen zu überlassen, der keine Schnellschüsse macht und zu dem der Weisheitslehrer betet: "Weil du über Stärke verfügst, richtest du in Milde und behandelst uns mit großer Nachsicht" (Weish 12,16). Und er möchte zu einer angstfreien Lebenshaltung führen, die wie das Buch der Weisheit darauf vertraut: "Es gibt keinen Gott außer ihm, der für alles Sorge trägt."


Pfarrer Stefan Mai

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