Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist

Predigt zum Dreifaltigkeitsfest 2002

Wenn es um die Glaubwürdigkeit der Christen geht; wenn gefragt wird: Worauf kommt es beim Christsein an, dann lautet die Antwort in aller Regel: Nächstenliebe! Christsein hat für die allermeisten Zeitgenossen seinen Sinn, wenn es starke soziale Verantwortung übernimmt, sich um Schwache und Benachteiligte kümmert. Da kann Kirche auch heute noch mit Zustimmung rechnen, da ist sie brauchbar, da erfüllt sie in der Gesellschaft ihren Zweck. Darüber hinaus erübrigt sie sich. Aber ist das alles?

Ein Johann Sebastian Bach schrieb seine Musik "allein zur größeren Ehre Gottes", ein Olivier Messiaen "zur Verherrlichung Gottes". Im Gloria singen wir: gratias agimus tibi propter magnam glorium tuam – "Wir rühmen dich und danken dir." Und heute in der Liturgie des Dreifaltigkeitssonntags heißt es im Ruf vor dem Evangelium: "Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Ehre sei dem einen Gott, der war und der ist und der kommen wird."

Da wird Gott Dank gesagt – aber nicht für das, was er für uns tut. Wir danken ihm einfach dafür, dass er da ist. Da verehren ihn Menschen ohne Hintergedanken, da preisen ihn Menschen, ohne dass sie etwas von ihm haben wollen. Da bestaunen Menschen den unbegreifbaren Gott, ohne zu fragen: "Wozu ist es nutze?"

Liebe Leser, am vergangenen Sonntag fand bei uns die Renovabiskollekte für die Kirchen Osteuropas statt. In den orthodoxen Ostkirchen lebt besonders dieser Geist des unverzweckten Gotteslobes, des Gott Rühmens und Preisens. Und gerade daran hält die Orthodoxie der lateinischen Westkirche, zu der wir gehören, einen Spiegel vor. Hermann Josef Coenen brachte das einmal auf den Punkt:


Alleinseligmachend?

Die orthodoxen Ostkirchen

leben ohne Predigt und Religionsunterricht,

ohne Caritasarbeit und Gemeindegruppen.

Und leben doch.

Pope und Diakon feiern singend die Liturgie,

manchmal ergänzt durch die schwermütig-schönen

Gesänge des Chores. Dann und wann kommen

Gläubige hinzu, entzünden eine Kerze, küssen

tief verneigt die Ikonen, verweilen ein Zeit

in stillem Gebet und gehen wieder.

Auch das ist Kirche. Und das schon

seit tausend Jahren. Das Geheimnis Gottes

dankend und lobend zu feiern, das reicht

als Kraft für den Alltag. Zu Hause brennt das Öllicht

vor der Ikone. Nur uns westlichen Kirchen

in unserem Aktivismus reicht das nicht.

Keine Gestalt von Kirche ist alleinseligmachend.

Und vielleicht kommen auch für uns

noch ganz andere Zeiten.


Pfarrer Stefan Mai

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