Gottes Geist spricht Dialekt

Predigt zum Pfingstfest 2002

Einleitung

Zum Dialekt hat man in unserer Gesellschaft ein geradezu schizophrenes Verhältnis: Auf der einen Seite stehen Dialektsprecher hoch im Kurs. In Radio- und Fernsehsendungen ergötzt man sich an den besonderem Klang der unterschiedlichen Dialekte. Aber wenn im normalen Alltagsleben einer Schule, einer Verwaltung, in Diskussionen einer mit Dialekt daherkommt, dann lächelt man darüber: Er scheint nicht recht gebildet zu sein, ihm unterlaufen angeblich Grammatikfehler. Man nimmt seine Aussagen nicht so ernst.

Dialekt geistreich oder geistlos – diese Frage wird an Pfingsten durch die biblische Erzählung sogar direkt aufgeworfen.

Predigt

Ein großer Spezialist für das Alte Testament, Prof. Ziegler in Würzburg, hat oft seinen Studenten süffisant ans Herz gelegt: "Lernen Sie gut Hebräisch. Denn im Himmel spricht man Hebräisch. Und ohne Hebräisch haben Sie schlechte Karten, in den Himmel zu kommen."

Und Jahrhunderte lang hatte es in unserer katholischen Kirche den Anschein, als sei Latein die einzige Sprache, die Gottes würdig ist. Wie lange brauchte es, bis ein mutiger Martin Luther das Deutsche kirchenfähig machte. In der katholischen Kirche hat es gar bis zum 2. Vat. Konzil gedauert, bis Deutsch selbstverständliches Heimatrecht in unseren Kirchen bekam.

Eigentlich verwunderlich. Denn die Gründungsurkunde der Kirche, die Pfingstgeschichte, erzählt: Die Auswirkungen des göttlichen Geistes sind gerade daran zu erkennen, dass die Pilger aus aller Welt die Apostel in ihrer eigenen Heimatsprache reden hören. Die Pilger fragen sich verwundert: "Sind sie nicht alle Galiläer, die da reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören?" Im griechischen Originaltext mache ich eine Entdeckung: Für "Muttersprache" steht da "Dialekt". Also müssten wir ganz wörtlich übersetzen: "Wieso kann sie jeder von in seinem Dialekt hören?"

Das würde unserem großen Würzburger Gelehrten nicht so gut gefallen: Gott redet weder Hebräisch, in der Sprache des Tempels, noch redet er Latein, in der ehrwürdigen Sprache der römischen Kirche. Nach der biblischen Gründungsurkunde der Kirche redet Gott Dialekt. Und er hat auch nicht seinen eigenen Dialekt, sondern er steigt auf den Dialekt ein, den die Menschen reden: in Kappadozien, in Pamphylien, in Phrygien – und dann doch auch: Gott steigt ein auf den Dialekt, den die Menschen reden: in Schweifert, in Gochsum, in Berch, und auch: im Heimatdialekt der ehemals ausgewanderten und wieder vertriebenen Sudetendeutschen, Oberschlesier und Rußlanddeutschen. Gottes Botschaft kommt an, wenn jeder sie hören kann in seinem Dialekt.

Hut ab vor diesem Kirchenbild, wie es Lukas in seiner Apostelgeschichte zeichnet: Nicht der Mensch muss sich anstrengen, wie er um fünf Ecken herum die hohe Theologie verstehen kann, die da verkündigt wird. Sondern genau umgekehrt. Die Verkündiger denken und sprechen vom Menschen her: sie versetzen sich in seine Lebenslage, nehmen seine Freuden und Hoffnungen, seine Sorgen und Ängste wahr, reden nicht über die Köpfe hinweg, sondern sehen einzelne Gesichter und Schicksale vor sich. Sprechen nicht von allgemeinen Wahrheiten, die immer gelten und doch nie helfen, sondern suchen nach Worten, die im Augenblick greifen und weiterbringen.

Unvergesslich hat dies für mich der verstorbene Aachener Bischof Klaus Hemmerle ausgedrückt. Er meinte einmal: "Kirche hat, zugespitzt formuliert, zum Menschen von heute zu sagen: Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe."


Pfarrer Stefan Mai

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