Raum geben

Predigt zur Eröffnung der Ausstellung "Raum geben" in der Heilig-Geist-Kirche mit Bildern von Björn Hauschild am 7. April 2002

In den Ferien haben wir unser Pfarrbüro renoviert und neu eingerichtet. Die alten Schränke wurden aus dem Zimmer geräumt, der abgetretene PVC Boden herausgerissen, die Wände wieder weiß gestrichen, ein dunkelblauer Linoleumboden gelegt und mit silbernfarbigen Sockelleisten versehen. Als ich zum ersten Mal im fertiggestellten, leeren Raum stand, übte dieser auf mich ein große Faszination aus. Ich dachte mir: Einfach schön, welche Ruhe und Konzentration davon ausgeht, welche Ästhetik, so unverzweckt, so leer, so absichtslos, einfach da, um Raum zu geben. Und mein Bruder zitierte den Satz eines bekannten Raumausstatters: "Schauen Sie her, das ist ein Raum. Am besten, man würde ihn leer lassen." Durch unseren Drang zur Vollstellerei wird er um seine Wirkung gebracht.

Wie wohltuend kann die Leere sein! Und doch halten wir die Leere nur schwer aus, füllen und stellen schnell wieder voll. Wir haben Angst vor der Leere; Angst, nicht abgelenkt zu werden, auf uns selbst geworfen zu werden.

Der Kirchenraum von Hl.-Geist strahlt auf mich immer eine ähnliche Atmosphäre aus wie unser wunderschön leeres Pfarrbüro. Er wurde vor hundert Jahren in einer Kunstepoche geschaffen, die heutzutage nicht gerade hoch im Kurs steht. Und doch zieht mich dieser Raum an: In seiner Weite, in seiner Schlichtheit, in seiner Höhe. Er lädt ein, einfach einzutreten, sich hinzusetzen, auszuatmen, nach oben zu blicken, zu lauschen, in sich hineinzuhören, Fragen zu bedenken, sich zu erinnern, vielleicht zu träumen. Dieser Kirchenraum ist eine Herberge für mein Staunen, für meine Sehnsucht, meine Fragen. Ein Raum, in den ich mich mit meiner Lebenssituation einbringen, in dem ich mich mit meiner Phantasie entfalten kann. Das Raumgefühl von Hl.-Geist ist für mich eher aus der subjektiven Perspektive zu sehen, weniger von einem Gemeinschaftserlebnis aus. Dieser Raum bietet meiner Meinung nach eher dem Individuum an, sich vor die Unendlichkeit Gottes zu stellen und sich in die unendliche Weite Gottes führen zu lassen, als ihm ein Gemeinschaftserlebnis zu vermitteln. Ich denke nicht nur die Nähe zur Innenstadt, sondern gerade dieses Raumgefühl zieht Menschen an, untertags die Tür zu öffnen, sich hin zu setzen und innezuhalten – wie in keiner anderen Schweinfurter Kirche.

Die Hl.-Geist Kirche bietet mir einen Raum, der mir das Gefühl gibt: Du darfst hier sein. Gott kommt auf mich zu.



In diesem klaren sakralen Raum werden zum 100. Jubiläum der Hl.-Geist-Kirche Bilder des Malers Björn Hauschild aus Eisingen ausgestellt. Mir persönlich geht es mit diesen Bildern ähnlich wie mit dem Raum der Hl.-Geist Kirche. Die Abstraktion der Bilder macht mir einen Raum auf, um mich zu suchen in meinem Schmerz, meiner Sehnsucht, meiner Angst, meiner Begrenztheit, meiner Hoffnung. Ich kann sie bewohnen mit meiner Erfahrung und finde in ihnen Platz mit meiner konkreten Lebenslage. Sie stellen mir vor Augen, dass es im Leben eng und dunkel werden kann, lösen dieses Angespanntsein aber zugleich auf, führen in die Weite, eröffnen neuen Lebensraum und neue Hoffnungsschimmer. Die Bilder von Björn Hauschild machen mich auf Verkrustungen aufmerksam, lassen mich aber zugleich erahnen, dass sich in schmerzvollen Aufbrüchen neue Lebensmöglichkeiten eröffnen können.

Diese Bilder ziehen mich nicht runter, sondern ziehen den Blick nach oben, erheben die Herzen oder machen den Geist weit. Viele Bilder, wie z.B. dieses Triptychon im Altarraum, sind Auferstehungsbilder, die von der Dunkelheit ins Licht, aus Bedrängnis in Freiheit, aus Enge in Weite, aus Schatten des Todes in Räume des Lebens führen wollen.



Diese Ausstellung zum 100. Geburtstag der Heilig-Geist-Kirche tut mir gut. Denn die momentane kirchliche Situation stellt sich zur Zeit eher anders dar. Ich sehe eher Tendenzen, alles genau festlegen zu wollen, ich beobachte eher verstärktes Bemühen um Engführung, um klare Linien und Definitionen. Ich beobachte eher Misstrauen gegen Pluralität und starkes Propagieren von geschlossenen Linien und Werben um Uniformität.

Der hundert Jahre alte Kirchenraum von Hl.-Geist, die Bilder von Björn Hauschild, der sich bewusst als Christ versteht, legen nicht fest, eröffnen Räume und Weite. Wo mir Raum eröffnet wird und ich in die Weite geführt werde, geschieht Begegnung mit der Transzendenz, da werden Menschen in die Weite des ungeschaut Schaubaren geführt. Diese Ahnung wünsche ich allen, die in den nächsten Wochen den Raum dieser Kirche und die Bilder auf sich wirken lassen.


Pfarrer Stefan Mai

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