Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt

Predigt zum Gründonnerstag 2002 – Predigtreihe "Gesichter" 8

Ich kann mich noch gut an die Liturgie am Gründonnerstag erinnern, wie sie zu meiner Kinderzeit immer gefeiert wurde. Wenn der Pfarrer die Schürze zur Fußwaschung anzog, begann die kleine Männerschola, einige Antiphonen zu singen. Irgendwie drehten sie sich alle um "Liebe". Den ein oder anderen Text habe ich noch im Ohr. Die Männer sangen "Wo Güte und Liebe, da wohnet Gott." Oder: "Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebet einander, wie ich euch geliebt." Ich war immer froh, wenn die Fußwaschung vorüber war und es wieder weiterging. Diese liturgischen Gesänge von der Liebe berührten mich wenig.

Ganz anders wirken dagegen die Liebeslieder, wie sie Tag für Tag im Radio gesendet werden. Sie mögen noch so schnulzig sein, sie bewegen einfach die Gemüter. Ein Paradebeispiel dafür ist das Lied, das Marlene Dietrich im Film "Der blaue Engel" in den 30er Jahren sang. Es eroberte die halbe Welt. Im Refrain heißt es immer wieder:

Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt,

denn das ist meine Welt

und sonst gar nichts.

Das ist, was soll ich machen, meine Natur:

Ich kann halt lieben nur

und sonst gar nichts.


Marlene Dietrich singt, und alles hört und schaut gebannt zu. Mit ihrem Lied verdreht sie nicht nur den Zuhörern den Kopf, sondern auch ihrem Gegenspieler, einem tyrannischen Professor Unrat, der als Grundlagen des Staates ansieht: eine einflussreiche Kirche, ein handfester Säbel, strikter Gehorsam und starre Sitten. Marlene Dietrich, die in der Spelunke "Der blaue Engel" als schlüpfrige Sängerin auftritt und viele seiner Schüler in ihren Bann zieht, ist ihm ein Dorn im Auge. Er hat Angst um seine Schüler und schnüffelt ihnen nach.

Und dabei erliegt der eiserne Moralist am Ende selbst der Faszination dieser Frau, die in der berühmten Szene ihr langes Bein auf den Hocker stellt, dem Professor tief in die Augen schaut und singt:

Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt,

denn das ist meine Welt

und sonst gar nichts.


Und dieses Lied verwandelt den Moralwächter in einen anderen Menschen. Er sieht die Welt der Sängerin mit ganz anderen Augen. Er urteilt ganz anders. Er lernt diese Welt lieben – und heiratet am Ende die Sängerin. Die bürgerliche Gesellschaft ist empört, und seine geachtete Stellung ist verloren.

Aber was soll das mit dem heutigen Evangelium zu tun haben? Jesus ist doch der Erfinder eines ganz anderen Liebesbegriffes. Da geht es um "Liebe" im übertragenen Sinn. Jesus zeigt seine Liebe darin, dass er für die Seinen bis in den Tod geht ...

Aber wenn wir auf die feinen Untertöne der Erzählung im Johannesevangelium hören, fallen einem verblüffende Ähnlichkeiten mit dem Song "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" auf.

Denn auch Jesus lernt bei einer anrüchigen Szene. Sie wird ein Kapitel vor der Fußwaschung erzählt. Sie spielt im Haus des Lazarus. Die feine Gesellschaft liegt bei Tisch. Da kommt Maria, die Schwester des Gastgebers, mit kostbarem Parfum, salbt Jesus die Füße und trocknet sie mit ihrem langen offenen Haar. Für antike Hörer ist das eine eindeutige Szene: Langes, offenes Haar ist sexuell anrüchig. Aber Jesus lässt es geschehen.

Und noch mehr: Er lernt selbst aus dieser Szene. Im Abendmahlssaal gibt er das weiter, was ihm offensichtlich gut getan hat. Und auch das, was er jetzt tut, ist in den Augen seiner Zeit anrüchig. Anderen die Füße zu waschen, gehörte zum Dienst der Untergebenen. Die Frau musste es ihrem Mann tun. Die Söhne und Töchter ihrem Vater. Nichtjüdische Sklavinnen und Sklaven ihrem Herrn. In diese Rolle begibt sich Jesus.

Noch mehr: Er bindet sich die Frauenschürze um, lässt Konventionen hinter sich. Damit provoziert er und propagiert Rollenumsturz. Das ist der eigentliche Liebesauftrag im Abendmahlsaal: Lasst euch von mir zu einem neuen Denken verführen: festgeschriebene Rollen in Fragen zu stellen, nicht von oben nach unten zu schauen, sondern vielmehr danach fragen: Was tut anderen gut?

Kein Wunder, wenn bei der liturgischen Fußwaschung und den heiligen Gesängen alles gähnt. Denn es geht bei Jesus weder um ein heiliges Spiel noch um einen spiritualisierten Liebesbegriff. Im Grunde geht es auch bei Jesus genau darum: "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt." Ich vergesse, wer ich bin und wie mich andere bei meinem Tun anschauen. Ich gebe weiter, was mir gut getan hat und anderen gut tut.


Pfarrer Stefan Mai

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