Hat Gott ein Gesicht?

Predigtreihe Gesichter 5

Wir nehmen den Namen Gott oft in den Mund. Wir besingen ihn in unseren Liedern, wir sprechen ihn an in unseren Gebeten. Und doch stoßen wir sofort an eine Grenze, wenn wir uns fragen: Wie stelle ich mir Gott eigentlich vor, was ist er eigentlich für mich?

Interessant ist es, wenn Kinder in der Schule Bilder von Gott malen. Meistens wird Gott dargestellt als alter Mann, der auf Wolken steht. Mädchen malen ihn gern mit roten Bäckchen und mädchenhaften Gesichtszügen. Manchmal entwerfen aber Kinder für uns ganz ungewohnte Bilder: eine große strahlende Sonne, eine ästhetische geometrische Figur, ein Bett, eine große geöffnete Hand.

Nahtodforscher berichten von den Erfahrungen der Menschen, die schon an der Grenze zum Tod standen und z.T. durch Reanimation wieder ins Leben zurückgeholt wurden. Sie erzählen davon, wie die Sterbenden auf ein Licht zugingen, das sie in den Bann zog oder wie eine wohlige Wärme auf sie ausströmte. Im Rituale der katholischen Kirche heißt es im Gebet für Menschen die auf den Tod zugehen demgegenüber: "Deinen Erlöser sollst du sehen von Angesicht zu Angesicht, Gott schauen in alle Ewigkeit."

Insbesondere zwischen der typisch westlichen Gottesvorstellung und der typisch östlichen Gottesvorstellung klafft ein breiter Graben. Das kommt sogar in alltäglichen Verhaltensweisen zum Ausdruck: Wenn sich Hindus in Nepal begegnen, verneigen sie sich voreinander und grüßen sich mit dem Wort "Namaste", d.h. Ich grüße Gott in dir. Da ist Gott im Menschen gedacht. Wenn wir uns begegnen, sagen wir "Grüß Gott", was bedeutet: Es grüßt dich Gott. Gott wird hier als Gegenüber zum Menschen gedacht.

Wenn Juden zum Gebet in die Synagoge gehen setzen sie bewusst die Kippa auf, um den Abstand zwischen dem großen Gott und dem Menschen sich bewusst zu machen, wenn Menschen nach der Weise des Zen meditieren, dann möchten sie ihr Wesen mit Gott verschmelzen lassen, dann möchten sie zum Ausdruck bringen: Ich bin wie ein Wassertropfen, der mit dem Ozean Gott eins wird und verschmilzt.


Merken sie an den genannten Beispielen den gewaltigen Unterschied, wie Menschen sich Gott vorstellen. Auf der einen Seite wird Gott als Person gedacht: von dem Kind, das ihn als Mensch malt, von dem Gebet, das darauf hofft, dass der Mensch einmal Gott sieht von Angesicht zu Angesicht. Auf der anderen Seite wird Gott apersonal gedacht und dargestellt: Gott als eine Form, als Licht, als göttlicher Kern in mir, als das alles Umfassende.

Das westliche Denken bevorzugt mehr die personale Gottesvorstellung In der personalen Vorstellung geschieht Identität durch Abgrenzung. Der Mensch wird am Du zum Ich. Erst die Beziehung zum anderen lässt zum eigenen vollen Personsein finden. Das westliche Denken ist geprägt von einem starken Ringen um Identität, um dessen Ausformung und Entwicklung.

Östliches Denken geht nicht von Gegensätzen aus. Hier ist der Mensch mehr Teil eines Ganzen, er ist eingeschlossen in die große Harmonie des Alls. Das Kleinere ist aufgehoben im Größeren. Alles trägt in sich die Sehnsucht nach Harmonie. Auch die Grenzen zwischen Gott und Mensch werden fließend. Wie ein Wassertropfen geht der Mensch in ein größeres Ganzes ein.

Für uns Christen ist es fast selbstverständlich, Gott als Person zu bezeichnen, sich ihn personal vorzustellen. In der Tat herrschen in der Bibel personale Bilder und Umschreibungen vor: Gott ist König, Schöpfer, Retter, Richter, Hirt, Krieger, Vater, Mutter … Gott spricht, Gott handelt wie eine Person. Gott zeigt Gefühle.

Die Bibel spricht aber auch in apersonalen Metaphern über Gott: Gott ist verzehrendes Feuer, Licht, Fels, Burg. Große christliche Theologen sagen: Gott sei das absolute Sein, der absolute Grund, das absolute Geheimnis, das absolute Gut, der absolute endgültige Horizont.

Oft wird so getan, als seien die personalen Vorstellungen von Gott die einzig richtigen, die apersonalen Begriffe von Gott seien demgegenüber suspekt, wie jetzt wieder im Streit um Willigis Jäger deutlich wird.

Ich denke, eines muss klar gesagt werden: Auch die personale biblische Gottesrede ist metaphorisch, genauso wie die apersonale. Eines muss klar sein: Jedes Reden von Gott steht – wie die Theologen es sagen, unter dem Vorbehalt der Analogie, d.h.: Wenn ich über Gott rede, dann ist mein Reden über ihn von vorneherein nicht zutreffend. Dann ist die Unähnlichkeit zu dem, was ich von Gott ausdrücken will, immer größer als die Ähnlichkeit. Wenn wir von Gott sagen: Er ist Person, dann muss uns klar sein: Gott ist nicht in gleicher Weise Person wie wir.

Die apersonalen Gottesvorstellungen der östlichen Religionen und einiger Strömungen christlicher Mystik können uns davor warnen, Gott in allzu menschlicher Engführung zu denken.

Wenn ich mich dennoch nicht von der personalen Vorstellung lösen möchte , so hat dies darin seinen Grund, dass ich die Beziehung zu Gott nicht von einem Harmonietraum her denken möchte, der den Abgrund zu ihm allzu schnell überspringt. Ich möchte an der Fremdartigkeit Gottes, am ganz anderen Anderssein Gottes festhalten – der dennoch ein Interesse an mir hat, wie es zwei völlig verschiedene Personen aneinander haben können. Im Horizont der personalen Gottesvorstellung kann ich Ich bleiben, ohne mich in Gott aufzulösen. Nur so kann ich mir auch menschliche Freiheit im Bezug zu Gott denken. Gott ist nicht für mich ein großer Bauch, der alles auffrisst, um es quasi sich einzuverleiben oder in sich aufzusaugen. Nein, er hat Respekt vor meiner Haut. Das Anderssein ist ihm wertvoll. In der Beziehung zu ihm gibt es die Wunden der Entfremdung und Entzweiung. In der Beziehung zu ihm gibt es – wie zwischen zwei Menschen – den Wachstumsschmerz sich entfaltender Beziehung. Das Glück des Hingezogenseins und die Spannung der Suche. Beziehung der menschlichen Person zu Gott als Person ist ein ständiges Ringen. Mir scheint auch: Dieser personal gedachte Gott ist eine große Hilfe zum besseren Akzeptieren des Andersseins gerade von Menschen, die mir nahe stehen. Gott hat Lust am Unterschied, so hat es ein zeitgenössischer Theologe einmal ausgedrückt. Verschiedenheit ist ein Wert, ja gottgewollt, und nicht ein Unglück, das es zu überspringen gilt. Der personal gedachte Gott steht für den Wert dieser Verschiedenheit ein.


Pfarrer Stefan Mai

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