Vergeblich?

Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis (Jes 8, 23b-9,3)

(Jesaja tritt auf, mit einem jüdischen Gebetsmantel bekleidet, und spricht:)

Mein Name ist Jesaja, das heißt auf deutsch "Gott ist da, ist Rettung". Mein Vater heißt Amoz. Wir gehören zu den vornehmen Kreisen Jerusalems. In Jerusalem regiert der König von Juda. In Jerusalem ist auch der Tempel und die hohe Priesterschaft. Königshof und Tempel sind mir von Jugend an vertraut.

Im Jahre 739 vor Christus hatte ich im Tempel ein bedeutungsvolles Erlebnis: Die Heiligkeit Gottes hat mich erfasst und zum Prophetendienst berufen. Meine Aufgabe bestand darin, dem König und dem Volk des Südreiches Juda klar zu machen, dass unser Gott Herr ist über alle Völker.

Als die Assyrer uns bedrohten und sich die Machtverhältnisse in und um mein Heimatland zu verschieben begannen, war es meine Aufgabe, mich dem schwachen und mutlosen König von Juda entgegenzustellen. Dem Nordreich Israel musste ich die Niederlage und großes Unheil ansagen. Israel hatte sich nämlich aus übertriebenem Selbstvertrauen und politischem Machtkalkül mit anderen Kleinstaaten zusammen dem Großreich Assyrien entgegengestellt. Das angesagte Unheil trat ein: Krieg und Plünderung und schließlich 722 der Fall der Hauptstadt Samaria. Viele Leute wurden damals nach Assur verschleppt und mussten ihre Heimat verlassen.

Bei uns im Süden machte sich eine furchtbare Angst und Resignation breit. Mit allen Möglichkeiten der Sprache und mit eindrücklichen Bildern habe ich versucht, dem König und dem Volk Mut zu machen und zum Vertrauen auf Gott zu bewegen. Ich wollte mit meinen Bildern und Worten ein Volk, das nur noch schwarz sah, aus seiner Depression und Hoffnungslosigkeit herausreißen und mit dem aufgehenden Licht ein Hoffnungsbild vor Augen malen und damit neues Vertrauen auf unseren Gott, der doch den Namen hat Jahwe "Ich bin für Euch da" wecken. Ich wollte das Vertrauen stärken, dass es Assur an den Kragen gehen wird und für unser Volk ein Leben in Freiheit und Sicherheit geben wird.

Liebe Leser! Das sah Jesaja als seine Lebensaufgabe. Hat sich seine Erwartung erfüllt, hat sein Bemühen Frucht getragen?

Wir wissen aus der Geschichte: Die besetzten Gebiete sind nicht befreit worden, ja 150 Jahre später kam es noch viel dicker. Auch das Südreich wurde besetzt, Jerusalem dem Erdboden gleich gemacht, der Tempel in Flammen gesetzt und die Bevölkerung deportiert.

Aber trotzdem sind die mutmachenden Worte Jesajas in der Geschichte nicht vergessen worden. Auch nach dem Untergang Israels sind die Hoffnungsbilder dieses Profeten nich ad acta gelegt worden. Immer wieder wurden sie aufgegriffen. Der Evangelist Matthäus kommentiert den Umzug Jesu von Nazaret nach Kafarnaum mit den alten Jesaja-Wort: "Das Volk, das im Dunkeln saß, hat ein helles Licht gesehen; denen, die im Schattenreich des Todes waren, ist ein Licht erschienen." Und auch bei uns im Volksmund lebt dieses Jesaja- Wort auf seine Weise weiter: "Wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her." Sein Wort hat, obwohl es Jesaja selbst nicht direkt spüren durfte, Wirkungsgeschichte gehabt, so wie es in einem Volkslied aus Israel heißt: "Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht, es hat Hoffnung und Zukunft gebracht. Es gibt Trost, es gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten, ist wie ein Stern in der Dunkelheit."

Das Schicksal und die Wirkungsgeschichte dieses Jesajawortes ist mir selbst ein Trost. Es gehörte zu den einschneidensten Erlebnissen meiner Jugendzeit, wie mein bester Freund, der blitzgescheit war und neben mir auf der Gymnasiumsschulbank saß, immer tiefer in die Depression gerissen wurde, es in seinem Inneren immer dunkler wurde. Wie aus einem kreativen und quicklebendigem Kerlchen ein antriebsloser sich nur mit Mühe dahinschleppender Mensch mit einem leeren Blick wurde. Ich wollte ihm stets vermitteln, dass er auch jetzt noch mein Freund ist, auch wenn seine ganze Persönlichkeit ins Kippen kam. Ich versuchte, ihm soweit ich es als 15-20 jähriger konnte Mut zu machen. Ich animierte ihn stets, die Freude an der Musik, an der Literatur und am Sport nicht zu verlieren. Ich versuchte, es mit guten und manchmal auch fordernden Worten. Ich begleitete und besuchte ihn in den psychiatrischen Kliniken. Ich versuchte auch nach dem Abitur dauernden Kontakt zu halten. Wie viele Gedanken machte ich mir, mit wie vielen Worten versuchte ich, ihm in seinem dunkel und kalt gewordenem Leben ein Hoffnungslicht aufzustecken, durch wie viele Zeichen versuchte ich wie auch seine Eltern und Geschwister, ihm zu zeigen: Du kannst mit mir rechnen. Ich hoffte darauf, dass er noch einmal Licht in der Dunkelheit seines Lebens sehen darf und meine Worte, mein Verhalten ihm dabei eine kleine Hilfe ist. Und trotzdem hat sich meine Hoffnung nicht erfüllt. Das Leiden am Leben und die Dunkelheit in ihm stürzten meinen Freund mit zwanzig Jahren in eine tiefe Schlucht.

Gäbe es vor mir nicht Menschen wie Jesaja, die ähnliches versuchten, deren ehrliches Bemühen jedoch dem Augenschein nach gescheitert ist, die aber trotzdem Spuren hinterließen, auch wenn sie selbst es nicht mehr erfuhren, ich könnte viel schwerer mit dieser erfahrenen Ohnmacht umgehen. Deswegen bin ich der Bibel dankbar, dass sie viele solcher Worte und Beispiele als wichtige Spuren Gottes in unserer Welt nicht dem Vergessen hat anheimfallen lassen.


Pfarrer Stefan Mai

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