Wenn der Stern erscheint ...

Predigt zum Dreikönigstag 2002

Einleitung

Neben der Verkündigung in der Predigt gibt es in unseren Kirchen noch andere Arten der Verkündigung: die Verkündigung durch die Musik und die Verkündigung durch die Kunst. Zu allen Zeiten haben es Künstler verstanden, die alten Geschichten so in Töne oder in Szene zu setzen, dass die eigene Zeit darin erkennbar wird. Im Urlaub des vergangenen Jahres ist uns eine faszinierende Kunstpredigt zur Dreikönigsgeschichte in die Augen gefallen. Davon wollen wir heute erzählen.

Predigt

Ungebrochene Glaubensgeschichte

In der Nähe von Meran, in Naturns, gibt es eine kleine romanische Kirche, ein wirkliches kunsthistorisches Kleinod: Berühmt ist diese Kirche St. Prokulus wegen ihrer alten Fresken. An die Nordwand hat ein gotischer Maler um 1400 den Zug der Dreikönige gemalt – in einer ungewohnten und originellen Art. Es ist ein Bild in drei Szenen: Da träumt ein kleiner Junge von einem neugeborenen Kind. Der Gedanke an dieses Kind lässt den Knaben nicht los. Er wächst heran, und begegnet in der zweiten Szene als Teenager, in der neuesten Mode gekleidet, drei erwachsenen Männern, die einem Stern folgen. Diese drei faszinieren ihn. Er schließt sich ihnen an und macht sich mit ihnen auf den Weg. Der Weg ist weit. Bis sie in der dritten Szene am Stall von Bethlehem ankommen, sind sie alte Männer. Sie sind überwältigt vom Anblick des Krippenkindes, das auf dem Schoß Mariens sitzt, fallen schweigend auf die Knie, küssen Füße und Hände des Kindes, legen ihre Schätze nieder und verehren das Kind.

Merkt Sie, liebe Leser, dem Kirchenmaler geht es da nicht einfach um die Darstellung einer Evangelienszene. Da malt einer vielmehr sein eigenes Glaubensleben in das Bild hinein, verwebt seine Glaubensgeschichte mit der berühmten Erzählung von den Magiern. Da erzählt einer von den Etappen seiner Glaubensgeschichte: Wie er als Kind den Glauben entdeckt, wie er als Teenager dem Glauben selbständig auf die Spur geht und wie er im Alter bei einem reifen Glauben ankommt: im Kniefall und im Schweigen.

Gebrochene Glaubensgeschichte

So ungebrochen verläuft in unserer Zeit selten ein Glaubensleben. Selten geworden ist es, dass stetig auf dem Glaubensfundament der Kindheit weitergebaut wird. Selbst Menschen, die sich ein Leben lang um den Glauben bemühen, müssen – wenn sie ehrlich sind – mit einer gewissen Enttäuschung vor sich eingestehen, wie es (mir) ein alter Pfarrer gesagt hat: "Früher habe ich immer geglaubt: Je älter ich werde, desto klarer, reifer und fertiger wird mein Glaube. Aber ich spüre, wie mir vieles entgleitet, wie ich unsicherer werde; ich spüre, dass mein Glaube brüchiger wird. Ich wollte einmal als ein reifer, fertiger Mensch vor Gott erscheinen. Aber jetzt muss er mich auch so nehmen."

Liebe Leser, ein ungebrochenes Glaubensleben ist in unserer Zeit selten geworden. Im besten Fall gibt es noch den Traum am Anfang. Wie z.B. bei der Erstkommunion. Eine Zeit, in der Kinder spüren: Dieser Jesus will mir etwas sagen. Es ist schön, mit anderen zusammen Momente der Stille zu erleben, die eigene Freude am Glauben in Liedern hinauszusingen. Und jeder weiß, wie gut es tut, glauben zu können: Dieser Gott ist in meinem Leben dabei.

Diesen Traum am Anfang gibt es. Aber was in unserer Zeit ausfällt, ist die zweite Szene des mittelalterlichen Bildes. Welcher Teenager hört schon gern fromme Geschichten? Welcher Teenager hängt sich Heiligenposter ins Zimmer? Welcher Teenager hört schon gern geistliche Musik? Den Teenager reizen andere Gestalten, andere Wege, andere Stories, andere Events.

Der Traum vom Anfang

Vielleicht müsste man heute die zweite Szene anders malen. Denn davon bin ich überzeugt: Der Traum vom Anfang geht nicht verloren. Aber er taucht zu anderen Zeiten und in anderen Formen wieder auf, vermutlich auch viel später. Meistens sind es Lebenskrisen, der Verlust einer Freundschaft, der Tod eines Mitschülers durch einen Verkehrsunfall, die eigene Erfolglosigkeit im Berufsleben. Dann kann es sein, dass die Suche von neuem beginnt. Oft sind es auch besonders freudige Momente, die den alten Traum vom Glauben an Gott in Erinnerung kommen lassen: die Geburt des ersten Kindes, die verlässliche Treue eines Partners, eine Arbeit, die erfüllt.

Der Weg des Glaubens verläuft im Gegensatz zu früheren Generationen heute anders. Nicht wie eine rote Linie, sondern eher in Brüchen. Nicht stetig ansteigend, sondern eher pulsierend, sprunghaft. Nicht gleichmäßig, sondern an bestimmten Stellen verdichtet. Aber eines bleibt: Die Botschaft des alten Bildes von Naturns. Wenn dich der Traum vom Glauben an irgendeinem Punkt deines Lebens anrührt, dann nimm ihn ernst, brich auf und glaub daran: Jetzt ist mir in meinem Leben der Stern erschienen.

Fürbitt-Litanei

Gott, der du verborgen auf den Wegen der Menschen dabei bist, wir rufen zu dir:

V: Begleite sie!

A: Begleite sie!

Du Freund aller, die an Christus glauben …

Du Freund aller, die auf Christus bauen …

Du Freund aller, die sein Wort bewahren …

Du Freund aller, die ihn verlieren …

Du Freund aller, die ihn suchen …

Du Freund aller, die ihn nicht mehr verstehen …

Du Freund aller, die ihm dennoch folgen …

Du Freund aller, die ihn bitten …

Du Freund aller, die dir, dem unbegreiflichen Gott, dienen …

Du Freund aller, die unter dem Kreuz aushalten …

Du Freund aller, die nach deinem Willen fragen …

Du Freund aller, die wider alle Hoffnung hoffen …


Pfarrer Stefan Mai

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