… dann lerne, den Löwenzahn zu lieben

Predigt zum Neujahrstag 2002

Einleitung

"Christen sind Menschen, die sich nicht von ihren schlechten Erfahrungen, sondern von ihren guten Erwartungen leiten lassen." Dieses Wort stammt vom evangelischen Theologen Ernst Lange. Für mich hat dieses Wort zu Beginn eines neuen Jahres einen besonderen Klang. Es ist eine Gefahr, auf Grund schlechter Erfahrungen vom Leben überhaupt nicht mehr viel zu erwarten. Der Neujahrsmorgen lädt uns ein, gute Erwartungen in uns aufkommen zu lassen und ihnen trotz allem zu trauen.

Predigt

Am Anfang eines Neuen Jahres steht viel guter Wille. Fast jeder macht sich seine Vorsätze. Das neue Jahr soll anders beginnen. Mit neuem Elan, mit neuen Zielen. Am Anfang eines neuen Jahres steht der Traum, dass vieles, was ich mir vorgenommen habe und mir erhoffe, auch in Erfüllung geht. Am Anfang eines neuen Jahres steht auch die Hoffnung, dass die Mühe, die ich für meine Vorhaben aufwenden will, sich auch auszahlen wird.

Nur ungern denken wir an die vielen Widerstände, die sich den Plänen und Träumen querstellen und die sich so leicht nicht ausräumen lassen. Nur ungern denken wir daran, dass etwas einen anderen Verlauf nehmen kann, als ich mir vorstelle; dass Dinge passieren, die meine noch so gut gemeinten Pläne durchkreuzen.

Wie damit umgehen? Das ist die große Frage. Eine Sufigeschichte erzählt:

Ein Mann beschloss, einen Garten anzulegen. Er bereitete den Boden vor und streute den Samen wunderschöner Blumen aus. Als die Saat aufging, wuchs auch der Löwenzahn. Da versuchte der Freund der Blumen mit mancherlei Methoden, des Löwenzahns Herr zu werden, und machte sich, als alles nichts half, auf, um in der fernen Hauptstadt den Hofgärtner des Königs zu befragen.

Der weise alte Gärtner, der schon so manchen Park angelegt und allzeit bereitwillig Rat erteilt hatte, gab vielfältig Auskunft, wie der Löwenzahn loszuwerden sei. Aber es erwies sich, dass der Fragende schon alles erprobt hatte.

So saßen die beiden eine Zeitlang schweigend beisammen, bis am Ende der Gärtner den Ratlosen schmunzelnd anschaute und sagte: "Wenn denn alles, was ich dir vorgeschlagen habe, nichts genützt hat, dann gibt es nur einen Ausweg: Lerne, den Löwenzahn zu lieben!"

Liebe Leser,

ob ich den Rat annehmen kann, das, was mir in die Quere kommt, auch noch zu lieben, das weiß ich nicht. Aber ich weiß, ich habe mit dem, was mir in die Quere kommt, zu leben.

Fürbitten

Keiner von uns weiß, was in diesem Jahr auf ihn zukommt. Wir bitten dich:

V: Lass uns lernen, Herr.

A: Lass uns lernen, Herr.


Uns auf schöne und auf schwierige Ereignisse einzustellen …

Mit sympathischen und unsympathischen Menschen umzugehen …

Mit eigenen Misserfolgen und Niederlagen zurechtzukommen …

Im Glück nicht überheblich zu werden …

In Schwierigkeiten nicht zu verzweifeln …

In Aussichtslosigkeit nicht zu resignieren …

In Zweifeln nicht zu versinken …

Freundlichkeit und guten Willen von anderen wahrzunehmen …

Auch kleine Fortschritte zu registrieren …

Auf unvorhersehbare Situationen sich neu einzustellen …

Für die Zukunft offen zu sein …


Pfarrer Stefan Mai

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