Zahlt sich Güte aus?

Predigt am 1. Weihnachtsfeiertag (Tit 3,4-7)

Einleitung

Kurz vor Weihnachten wurde die alte Dame des Fränkischen Theaters Schloss Maßbach, Lena Hutter, 90 Jahre alt. Auf die Frage, wie ein langes Leben erfüllt gestaltet werden kann, antwortete Lena Hutter mit liebenswürdigem Nachdruck: "Die Güte ist es, was die Menschen brauchen, woraus sie Kraft schöpfen, Gefühl und Güte … In einer Zeit, die so schwer geworden ist durch die ganze Technik, sollte jeder Gefühle zeigen. Freundschaft und Verständnis sind das, was das Leben eigentlich lebenswert macht" (Schweinfurter Volkszeitung vom 20.12.01). Als ich diese Zeilen las, Lena Hutter spricht in der Vorweihnachtszeit die Quintessenz der Weihnachtslesung aus: "Erschienen ist uns die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes."

Predigt

"Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters" – schön zu hören. Solche Worte gehen zu Herzen. Aber was hat er davon gehabt, von dem es heißt: Er lebte die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes? Keiner hat es ihm gedankt. Am Ende wird er angespuckt, geschlagen und hingerichtet.

Ich möchte ja auch gerne gut sein, Menschenfreundlichkeit ausstrahlen. Durch Güte und Verständnis ein Stück Wärme in die Welt bringen. Aber dann frage ich mich oft: Kommt etwas davon zurück? Was habe ich davon? Bleibe ich am Ende nicht auf der Strecke?

Bei dieser Frage kann man tatsächlich verschiedene Postitionen einnehmen.

Junger Mann

"Du hast mich zu einem lebensuntüchtigen Idioten erzogen", schreit ein junger Mann seine Mutter an. "Du hast mich vollgelabert, liebenswürdig zu sein, zu teilen, zu helfen, Rücksicht zu nehmen. Und vor allem: Mädchen mit Achtung zu begegnen. Aber wer schleppt sie ab? Die schlimmsten Machos. Je schlechter sie sie behandeln, desto mehr Erfolg haben sie. Und wer macht Kohle und Karriere? Typen, die über Leichen gehen. Steck sie dir an den Hut, deine Tugenden! Damit kannst du nichts werden." "Und?" sagt seine Mutter, "was wärst du ohne sie?"

Ältere Frau

88 ist sie. Die jüngste von sieben Geschwistern. Fast alle hat sie gepflegt. Allen ins Grab nachgeschaut. Ganz allein versorgt sie Haus und Garten. Einschränkungen trägt sie tapfer. Und immer noch hat sie den wachen Blick für fremde Not. Sie ist ein guter Mensch. Jemand wie sie wird leicht ausgenutzt und heimlich belächelt. Aber genau dies geschieht nicht. Ihre Freundlichkeit kommt zu ihr zurück. Kein Tag, an dem nicht eine oder einer seine Hilfe anbietet. Bliebe ihr Rollladen in der Frühe mal unten, gleich legte sich jemand auf die Klingel. Die alte Frau, meine Mutter, hat vielen einen düsteren Tag hell gemacht. Der Abglanz wärmt jetzt sie. Niemand lebt gern in der Kälte.


Liebe Leser, welche Position nehmen Sie ein? Die von Barbara Kamprad, die das Beispiel von dem jungen Mann erzählt, oder die Position von Hans Albrecht Pflästerer, der von seiner Mutter erzählt? Womit halten Sie’s? "Der Gute ist immer der Dumme" oder "Güte zahlt sich aus"?

An Weihnachten wird verkündet: "Die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes ist erschienen." An Karfreitag endet die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes am Kreuz. An Ostern feiern wir: Die Güte und Menschenfreundlichkeit war nicht umsonst.


Pfarrer Stefan Mai

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