Die Kirche - Eiche oder Pfitzer?

Predigt zu Jes 11,1-10 (A/Adv 2)

Auch wenn's in unserer Kirche in den letzten Jahrzehnten ständig bergab geht, wenn die Jugend still auswandert, wenn sich die Kirchenaustritte immer mehr häufen, wenn sich nach den Weisungen der Kirche immer weniger richten - ein Argument wird immer mit Stolz ins Feld geführt: Das soll uns einer mal nachmachen, eine 2000-jährige Geschichte zu überstehen. Was da schon alles los war. Wie oft wurde uns der Tod schon vorausgesagt. Und immer wieder haben wir's gepackt. Nach solchen Stürmen stehen wir noch ganz gut da. Da werden wir auch die modernen Stürme aushalten. Die mächtige Eiche Kirche wirft so schnell nichts um.

In der Tat: Die mächtige Eiche Kirche hat schon vieles überstanden, so vieles ist an ihrem harten Holz abgeprallt. Auf der einen Seite ist es gut, dass sie in unseren schwierigen Zeiten dieses gesunde Selbstbewusstsein hat und sich nicht so leicht erschüttern lässt. Aber dieses Selbstbewusstsein birgt auch eine große Gefahr in sich: die Krise wird verharmlost; Menschen, die ernsthaft darüber nachdenken und Veränderungen vorschlagen, werden überhaupt nicht ernst genommen; es entstehen Entschuldigungsmechanismen: die anderen sind schuld. Wir können doch nichts dafür; die Welt muss sich ändern nicht die Kirche.

Auch Israel hatte lange diesen Stolz: Wir sind doch Gottes auserwähltes Volk. Wir können große Namen vorzeigen: David, Abraham, Jakob. Wir haben doch den Tempel. Gott wohnt in unserer Mitte. Sollen die Feinde doch kommen! Uns wird das nicht erschüttern.

Und die Feinde sind gekommen. Und sie haben Jerusalem niedergemacht. Nichts von dem prächtigen Bauten blieb übrig. Alles, worauf Israel stolz war, sank in Schutt und Asche.

Und da steht Jesaia auf und sagt: Der stattliche Baum Israel ist abgeholzt. Macht euch nichts vor: Das alte Israel ist tot. Es ist krachend zusammengefallen. Aber das ist noch lange nicht unser Ende. Denn Gott kann aus diesem Baumstumpf wieder etwas Neues entstehen lassen: einen kleinen Seitentrieb. Und keiner weiß, wann das sein wird und wie er sich entwickeln wird. Es gilt nur die Verheißung: Auf ihm liegt Gottes Geist.

Liebe Leser, für die augenblickliche Situation in unserer Kirche bedeutet die Jesaiaverheißung für mich: Unsere Aufgabe kann gar nicht sein, die Allmächtigkeit und Allgegenwärtigkeit unserer Kirche zu retten. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Löcher zu stopfen, alles, was noch gehen und krabbeln kann von überall her einzufliegen, um auch noch im letzten Dorf die Gottesdienste abzudecken; vieles von dem mächtigen System Kirche, wie wir es gewohnt sind, wird in den nächsten Jahrzehnten zusammenkrachen.

Und ich denke mir, die Treue Gottes zeigt sich nicht darin, dass Kirche immer oben auf ist. Wenn Jesaia ernst nehme, dann zeigt sich Gottes Treue vielmehr darin, dass er etwas Neues entstehen lässt. Es werden kleine Schösslinge sein, die in unseren Gemeinden wachsen. Ob da dann miteinander Bibel gelesen wird, ob das Familiengruppen sind, die ihren Alltag bewusst im Geist Jesu gestalten wollen und sich in ihren Häusern darüber austauschen, ob Leute aus der eigenen Gemeinden einmal als Vorsteher für den Gottesdienst akzeptiert werden und als Vertrauensmänner in Lebensfragen gelten, das weiß heute noch niemand. Aber da bin ich sicher, wo solche Schösslinge wachsen, da ruht sicher Gottes Geist darauf, d.h. da ist Gott am Werk.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de