Steh’ ich rechts oder links?

Predigt zum Christkönigsfest 2001 (Lk 23,35b-43)

Wenn Günther Jauch in seiner Sendung "Wer wird Millionär?" die Frage stellen würde: "Wie hießen die beiden Schächer neben Jesus am Kreuz?" – wofür würden Sie sich entscheiden?

A Ben Zadok und Ben Hur

B Barrabas und Horrificus

C Dismas und Gestas

D unbekannt

Welche Antwort ist Ihrer Meinung nach richtig?

Natürlich D. Im Evangelium haben die beiden Schächer überhaupt keine Namen. Erst die fromme Volktradition hat den beiden Schächern am Kreuz im Lauf der Zeit Namen gegeben: Dismas soll der reuige Schächer geheißen haben, also der Räuber, der sich in seiner Todesstunde bekehrt, Gestas dagegen der andere, der bis zu seinem bitteren Ende Jesus verspottet.

Die Evangelien nennen bewusst keine Namen. Ihnen geht es nicht darum, nur geschichtliche Daten, Fakten und Namen zu nennen und damit bei den Hörern die Reaktion auszulösen: Aha, so war’s! Da, schau sie an! Nein, sie wollen die alte Geschichte vom Sterben Jesu so erzählen, dass wir als Hörer in sie verwickelt werden, Stellung beziehen müssen – und uns fragen: Wie ist meine Reaktion auf Ohnmacht und Kreuz? Wer steckt mehr in mir? Der linke oder der rechte Schächer?

Sage ich wie der linke Schächer: Der am Kreuz, der hilft dir auch nicht! Da kannst du noch so schreien und rufen. Der ist doch selbst ohnmächtig! Der reicht dir nicht die Hand und zieht dich aus dem Schlamassel! Mach dir keine falschen Hoffnungen!

Sage ich: Was soll das mit dem Gekreuzigten, wenn sich doch nichts ändert? Wenn nach wie vor Kriege geführt werden und Grausamkeiten geschehen? Wenn nach wie vor ungerechte Strukturen bestehen bleiben und Kinder verhungern müssen?

Sage ich: Was soll ich denn zu einem beten, der sich selbst nicht helfen konnte und dessen Gebet ihm selbst nichts geholfen hat? Wie kann einer mir helfen, wenn er selbst ohnmächtig dort hängt?

Oder fühle ich eher wie der rechte Schächer: Wenn mir selber die Hände gebunden sind, dann hilft es mir, auf einen zu schauen, dem es ähnlich geht. Wenn ich selbst im Leid nicht mehr weiter weiß, dann hilft es mir, einem sagen zu können: Denk an mich! Du weißt, wie mir’s geht! Wenn ich selbst keine Auswege mehr sehen kann, dann hilft mir der Blick auf den Unschuldigen am Kreuz.

Liebe Leser, als der Pfarrer Hermann Josef Coenen zum letzten Mal umzog, schrieb er sich viele Fragen und Zweifel von der Seele. Er hat diese Texte kurz vor seinem Tod in einem Buch veröffentlicht. Der letzte Text lautet:

Ich habe nichts mitnehmen können

In mein säkulares Exil der Etagenwohnung.

Nichts als den kleinen, nackten Gott,

Jesus von Nazaret.

Ich trage ihn nicht demonstrativ vor mir her

Als Brustkreuz, damit die Leute ihn nicht

Für ein Kulissen-Versatzstück halten.

Aber ich habe ihn mitgenommen aus dem Haus

Meiner Kindheit. Ihn habe ich gefunden

Ganz unerwartet an einer Wegkreuzung.

Ich gehe nicht mit ihm hausieren.

Manchmal gehe ich sogar über ihn hinweg,

vergesse ihn tagelang, wochenlang.

Dann wieder grabe ich ihn aus, heimlich,

Des Nachts halte ich mich an ihm fest.

Und er hält mich: Mein Bruder Jesus,

mein kleiner nackter Gott.

Wenn ich ihn nicht hätte …


Pfarrer Stefan Mai

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