Ein neues Ritual: Halloween

"In Straßen und Dörfern, Restaurants und Shopping Malls sprießt eine Nutzpflanze, die früher auf dem Misthaufen gelandet wäre. Gelbe, rote, orangefarbene Kürbisse mit Fratzengesichtern stehen in den Fenstern, und von den Bäumen baumeln Plastikskelette. Die Kleinen lernen das Kürbisbemalen und Gruseltorte-Backen im Kindergarten, die Größeren bestellen ihre Kostüme für die private Horrorparty im Internet. Es gilt, die stille Zeit zwischen Herbst und Winter durch einen Zwischenkarneval zu überbrücken. Ein neuer Brauch bricht sich Bahn. Europa feiert Halloween." Mit diesen Zeilen beginnt die Süddeutsche Zeitung einen Artikel zum immer beliebter werdenden Brauch Halloween.

Obwohl erst seit vier Jahren in Europa bekannt, hat Halloween einen atemberaubenden Siegeszug angetreten. Am 31.Oktober wird es gefeiert mit glühenden Kürbissen, Geistern und Hexenmasken, mit bunten Kostümen auf Events und Kinderfesten. Kleine Monster erscheinen vor den Haustüren und fordern mit ihrem Spruch "trick or treat – Streich oder Süßigkeiten" Schokolade. Die katholischen Feste Allerheiligen und Allerseelen haben eine neue Konkurrenz bekommen. In katholischen Gegenden werden zum Auftakt des düsteren Monats November die Gräber geschmückt und Lichter auf ihnen entzündet. Die brennenden Kerzen auf den Gräbern schaffen eine kontemplative Verbindung zu den Toten. Aber auch Halloween, eigentlich eine Abkürzung von All Hallow´s Eve, Allerheiligenabend, hängt vom Ursprung her mit den Toten zusammen.

Das Halloween-Fest geht zurück auf die alten Kelten. Im alten Britannien und in Irland fiel das Ende des Sommers auf den 31. Oktober. In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November starb nach keltischer Überzeugung der Sonnengott. Ab dieser Nacht, die bei den Kelten auch den Jahreswechsel darstellte, beanspruchte der Todesfürst "Samhain" die Herrschaft. Das Leben sollte nun für ein halbes Jahr die Macht an den Winter, an den Tod abgeben. Man glaubte, dass in dieser symbolträchtigen Nacht die Verstorbenen noch einmal auf die Erde kämen. Die Kelten zündeten Feuer auf den Bergen für sie an, damit ihre kalten Seelen erwärmt würden und stellten Speisen für sie bereit, die sie für einen Gedankenaustausch mit den Lebenden versöhnlich stimmen sollten. Den bösen unter ihnen wollte man dadurch ein Schnippchen schlagen, indem man sich verkleidete, um nicht erkannt zu werden oder gar ein Knochengerippe auf das Kostüm malte, um den Totengeistern vorzutäuschen: Ich gehöre doch selbst nicht mehr zu den Lebenden. Durch diese magischen Riten hofften die Kelten, die Angst vor den Toten und dem Tod in den Griff zu bekommen.

Nach der Christianisierung Britanniens standen die Christen vor der Frage, wie sie mit diesem keltischen Fest und Ritus umgehen sollten. Sie bekämpften nicht diesen Samhainkult verbissen, sondern widmeten diesen heidnischen Totenfeiertag in das Gedenken an die Gemeinschaft der Heiligen um. Im Jahr 837 verfügte Papst Gregor IV, dass die Christen an diesem Tag ihre Toten ehren sollten. Mit einer christlichen Begründung sollte auch dieses Fest den Menschen sagen: Ihr braucht vor euren Toten keine Angst zu haben, die wollen euch nicht schaden. Denn die haben ihr Ziel bei Gott erreicht und sind bei ihm eure Fürsprecher. In diese Botschaft wurde die Angst vor Samhain und den Totengeistern umgedeutet. Aus dem Samhain – Kult wurde All hallow`s Eve.


Irische Auswanderer brachten das Brauchtum von All hallow`s Eve in die neue Welt, in der sich europäisches Brauchtum mit indianischen Sitten vermischte. Die ersten Feiern wurden mit gemeinsamen Spielen, Tanz und Gesang gestaltet. Nachbarn erzählten sich Geschichten über die Verstorbenen ihrer Familien. Mit der Einwanderungswelle aus Irland um die Mitte des 19. Jh. kamen die Kostüme , das "trick or treat" und die leuchtende Rübe dazu. Der ausgehöhlte Kürbis geht auf die Legende von Jack, dem Schmied, zurück, der den Teufel überlistete, der ihm seine Seele abkaufen wollte. Aber am Ende des Lebens durfte der arme Handwerker weder in den Himmel noch in die Hölle. Mit einer Rübe fing er sich glühende Kohlen ein und irrte seitdem als Gespenst durch die Lande. All diese Bräuche und Stoffe wurden von der Unterhaltungsindustrie Amerikas als Marktnische entdeckt und zu jenem Unterhaltungs-, Spaß- und Klamaukspektakel umgeformt, das mit amerikanischen GIs in Deutschland in den letzten Jahren Einzug hielt und sich immer größerer Beliebtheit erfreut.

Scherzartikelhändler machen zu Allerheiligen inzwischen Umsätze wie vor der Silvesternacht.

Um es vorweg gleich zu sagen. Ich persönlich sehe hinter diesem Halloweenkult keine religiösen Züge oder gar ein satanisches Treiben. Ich nehme nur eine ungeheuere Sehnsucht des heutigen Menschen wahr, die stille Zeit zwischen Herbst und Winter durch eine Art Zwischenkarneval, Klamauk, Nervenkitzel und Spielerei zu überbrücken. Ich nehme eine ungeheuere Sehnsucht nach Riten wahr. Aber ich habe meine Anfragen an das Halloween –Spektakel.

Eigentlich kommen die Wurzeln aus dem ernsten Umgang mit Tod und Vergänglichkeit. Aber ob gerade diese ernste notwendige Auseinandersetzung mit dem Tod durch Horrorästhetik der Halloweenbräuche nicht geradezu verniedlicht und verhindert wird.

Aus den bedrängenden Fragen: was geschieht mit den Toten, wie werden wir mit dem Verlust von Menschen fertig, wie gehen wir mit der Trauer und dem Schmerz um sie um? wird eine Flucht in eine karnevalistische Spaßwelt inszeniert, um gerade diesen ernsten Themen auszuweichen.

Der Halloweenkult stellt aber auch Anfragen an unsre christliche Festkultur . Anscheinend können wir der modernen Gesellschaft nicht mehr die Inhalte und Lebenswichtigkeit unserer christlichen Feste vermitteln. Unsere Riten haben für viele wenig verändernde Kraft, vermitteln oft nicht mehr den erhofften Trost, haben oft nicht mehr gemeinschaftsstiftenden Charakter. Es ist doch eine große Anfrage an uns als Kirche, dass als derzeit wichtigstes Sonntagsritual der deutsche Bundesbürger den Gang zum Abfall- oder Altpapiercontainer zelebriert. In der Entsorgung des wöchentlichen Mülls und des Zeitungsstapels zelebrieren Menschen einen Ritus, der ihnen helfen soll, den alten Menschen der vergangenen Woche zurückzulassen und als neue Menschen, mit neuem Mut und Elan, mit neuen Ideen in die neue Woche zu gehen. Uns als Kirche fällt es dagegen immer schwerer, heutigen Menschen den sonntäglichen Auferstehungsgedanken erahnen zu lassen.

Man sprach einmal der Kirche das Monopol auf Rituale zu. Nicht erst Halloween zeigt, dass diese Zeit vorbei ist. Ehemals kirchlich geprägte Zeiten wie Advent oder Weihnachten werden uns dies wiederum deutlich machen. Ich weiß keinen konkreten Weg, aber ich weiß, dass es gerade auf dem Hintergrund moderner Sehnsucht nach Ritualen für uns als Kirche eine große Herausforderung darstellt und viel Nachdenken erfordert, wie wir die Weisheit unserer oft jahrhundertealten Rituale neu vermitteln können. Und ich bin auch überzeugt, dass wir nicht nur aus der Vergangenheit leben können, sondern aus unserem Glauben heraus neue Rituale kreieren müssen.


Pfarrer Stefan Mai

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