Anerkennung kann man sich nur schenken lassen

Lk 19,1–10 (C/31)

Predigt

Zwei Dinge sind uns von Zachäus bekannt. Er war klein von Gestalt, heißt es, und er war reich. Vielleicht ist diese Kombination nicht zufällig. Menschen, die sich klein und deshalb minderwertig verkommen, versuchen dies zu kompensieren, indem sie es anderen so richtig zeigen. Das ist ein häufiges Gespann: Minderwertigkeitskomplexe und Überlegenheit zeigen; sich auf der einen Seite nicht ernst genommen fühlen, und auf der anderen Seite durch Reichtum, Lebensstandard und Prestige bei anderen Eindruck schinden wollen. Und häufig wird damit ein Teufelskreislauf in Gang gesetzt: Je mehr man sich bei den anderen Respekt verschaffen will, desto mehr erntet man gleichzeitig Ablehnung. Je mehr man vor den anderen auffallen möchte, um endlich anerkannt zu werden, desto mehr gerät man in die Isolation.

Das lässt sich an Zachäus gut studieren. Er war klein. Weil er sich neben den anderen zu klein vorkommt, will er über den anderen stehen. Als Oberzöllner konnte er es den anderen so richtig zeigen: Der Kleine hat Köpfchen und Macht. Der Kleine scheffelt das Geld. Kann sich Dinge leisten, von denen die anderen nur träumen.

Und am Ende sitzt er auf dem Baum – über den anderen. Er könnte ihnen auf den Kopf spucken. Aber er ist allein. Er ist isoliert. Das zeigt sein Versteck im Blätterwerk.

Normalerweise käme er aus diesem Teufelskreis nicht heraus. Es grenzt deshalb an ein Wunder, was unsere Geschichte weitererzählt. Alles wird auf den Kopf gestellt: Zachäus ist nicht mehr der, der Geld scheffelt, sondern der sein Vermögen austeilt. Zachäus steht nicht mehr abseits oder fungiert als Zaungast, sondern entwickelt sich zum großen Gastgeber.

Wie kann so eine Wandlung passieren? Zachäus wird ein anderer Mensch, weil einer von außen den Teufelskreis zerbricht. Weil einer sich anders verhält als die, die ihn kennen. Weil einer ihn nicht als Oberzöllner, sondern als Suchenden wahrnimmt. Weil einer sich ihn nicht vom Leib hält, sondern auf ihn zugeht und ihn anspricht. Weil einer ihm die Anerkennung, nach der er so hungert, ganz selbstverständlich gibt, die er sich von anderen erzwingen wollte.

Liebe Leser, was uns in der Gestalt des Zachäus vor Augen geführt wird, das gilt für so manchen Teufelskreis, der in einer Familie, in einem Büro, in einer Gemeinde seit Jahren seine Runden macht. Und auch da gilt: Durchbrechen können ihn nur Personen, die von außen dazukommen.

Für Menschen, die ihre Minderwertigkeitskomplexe durch Machtspielchen kompensieren möchten, kann sich nur dann ein neues Selbstwertgefühl einstellen, wenn einer, der nicht schon Jahr und Tag zu ihrer Umgebung gehört, ohne zu spielen an ihnen wertvolle Züge entdeckt und zur Sprache bringt – und dadurch in ihnen etwas anrührt und zur Entfaltung bringt, was innerhalb des Systems gar nicht mehr gesehen und entdeckt werden kann.


Pfarrer Stefan Mai

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